ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt: Wie läuft die Aufarbeitung?
Vor einem Jahr wurde die ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Hannover veröffentlicht. Wie schauen Betroffene heute auf die Aufarbeitung innerhalb der Kirche?
Die Forschenden hinter der Studie sprachen mit Blick auf die Zahlen von "der Spitze der Spitze des Eisbergs". In kirchlichen Akten hatten sie Hinweise auf mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte ermittelt. Ein Schock - nicht nur für viele protestantische Christinnen und Christen. Die EKD, die Evangelische Kirche in Deutschland, gelobte Verbesserungen und ein Umdenken. Was ist seitdem passiert?
Der große Ruck in der Evangelischen Kirche ist ausgeblieben
Betroffenen zuhören, kirchliche Deutungshoheit abgeben, neue Räume zum Diskutieren und Entscheiden öffnen. Die Forderungen der Forschenden nach der Präsentation der ForuM-Studie waren klar. Doch der große Ruck auf allen Ebenen der Evangelischen Kirche ist ausgeblieben. Nancy Janz engagiert sich als Sprecherin des Beteiligungsforums der Evangelischen Kirche in Deutschland für Betroffene sexualisierter Gewalt. An der Spitze sei das Thema präsent, auf der kirchlichen Leitungsebene komme niemand an dem Thema vorbei, sagt sie. Allerdings: "Das sind die Rückmeldungen, die wir bekommen - auch von Betroffenen -, dass vor Ort häufig noch keine Formate sind, wo sich Betroffene wirklich engagieren oder einbringen können."
Nancy Janz ist von sexualisierter Gewalt in der hannoverschen Landeskirche betroffen. So wie Jakob Feisthauer. Anders als Nancy Janz möchte er aber nicht in kirchlichen Strukturen mitarbeiten, um sich für Betroffene einzusetzen. Das Beteiligungsforum der EKD sieht er dabei nicht durchweg kritisch: "Das sind echte Betroffene. Allerdings arbeiten diese Betroffenen zum großen Teil auch bei Kirche oder Diakonie, und sie wurden von der Kirche ausgewählt. Sie haben also kein Mandat, kein demokratisches Mandat und auch kein anderes Mandat, indem sie beispielsweise von einer unabhängigen Kommission ernannt wurden."
Beteiligung von Betroffenen muss strukturell verankert werden
Die unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, fordert, nicht nur den Diskurs über das Thema Missbrauch deutlich zu weiten: "Das, was Kirche nicht für sich in Anspruch nehmen kann, ist, zu sagen, wenn wir mit einer Gruppe von Betroffenen in Aushandlungsprozessen sind, dann können diese Betroffenen für alle Betroffenen sprechen. Das ist eben gerade nicht der Fall, und das muss Kirche lernen", so Claus. "Und deswegen werbe ich sehr dafür, dass eine Partizipation von Betroffenen nicht nur immer mal wieder über Foren, immer wieder in wechselnder Besetzung, sondern tatsächlich strukturell verankert sein muss."
Die EKD-Synode hat im vergangenen November einen Maßnahmen-Katalog verabschiedet: Eine zentrale Ombudsstelle, ein "Recht auf Aufarbeitung", soll es geben und das System der Anerkennungsleistungen vereinheitlicht werden. Ohne die Zustimmung der Landeskirchen läuft da aber nichts. Derzeit müssen noch viele Fragen geklärt werden. Bis - so der Plan - im März eine endgültige Fassung der Anerkennungsrichtlinie vorgelegt wird.
Betroffene blicken kritisch auf den Prozess
Die von sexualisierter Gewalt in der hannoverschen Landeskirche betroffene Kerstin Krebs blickt insgesamt kritisch auf den Prozess: "Da braucht Kirche noch immer Monate, Jahre, Gremium A, Gremium B, Rückschluss da, dann muss da noch jemand unterschreiben, und hier haben wir noch jemanden nicht gefragt. Kirche nennt das Ganze Föderalismus und nennt das Ganze Demokratie. Ich nenne das Ganze Bürokratie, die dazu gedacht ist, zu verhindern, dass tatsächlich adäquate Zahlungen geleistet werden."
Ein Jahr nach der ForuM-Studie ist klar: Es gibt unter Betroffenen viele Perspektiven auf das Thema sexualisierte Gewalt, die Betroffenen - im Sinne eines einheitlichen Blocks - gebe es nicht, sagt Kerstin Krebs. Wie andere kirchenkritische Betroffene fordert auch sie, zum Beispiel auf Synoden direkt im Plenum sprechen zu können: "Es braucht keine Deutungshoheit, oder ich brauche keine Übersetzer. Und wenn ich dann sehe, dass Kirche nicht in der Lage ist, mit einem ureigenen Problem umzugehen, nur weil das Problem plötzlich Gesicht hat und Worte findet, dann ist das für mich schwierig."