John Neumeier: Bundesjugendballett braucht Reichweite
Der Star-Choreograf hat auch nach seiner Zeit beim Hamburg Ballett immer noch alle Hände voll zu tun. NDR Kultur erzählt er von seinem Leben zwischen Houston und Hamburg und seiner Leidenschaft für den Tanz.
Seitdem der 85-Jährige im Juli als Direktor des Hamburg Balletts mit großem Pomp verabschiedet wurde, ist es nur scheinbar leise um ihn geworden. Sein Bundesjugendballett zeigt jetzt seine aktuellen Arbeiten mit "Im Aufschwung XVI" im Hamburger Ernst Deutsch Theater. NDR Kultur hatte die Gelegenheit, ihn in seinem Haus zu interviewen.
Herr Neumeier: Seit ihrem Abschied vom Hamburg Ballett sind drei Monate vergangen. Wie geht es Ihnen seitdem? Fällt man da auch in ein Loch oder ist man auch ein bisschen erleichtert?
John Neumeier: Ich habe mich bei den Ballett-Tagen von meiner Compagnie verabschiedet. Dann hatte ich erst mal an einen kurzen, aber schönen Urlaub und Arbeit in Houston dann wieder das Festival in Baden-Baden, drei Wochen lang: "The World of John Neumeier". Da hatte ich das Glück, nicht nur das Hamburg Ballett dort zu haben, sondern auch das Joffrey Ballet aus Chicago, was toll war. Es waren drei Wochen voller toller Ballettvorstellungen. Ich habe wirklich keine Möglichkeit gehabt, in irgendein Loch zu fallen. Ich hatte keine Pause und war dann auch noch mit verschiedenen andere Projekten beschäftigt. Im Grunde genommen gab es keine Zeit für ein Loch.
Jetzt geht es ja auch direkt weiter mit der Premiere des Bundesjugendballetts. In der 16. Ausgabe von "Im Aufschwung" zeigt es seine neuen Gesichter, seinen neuen Talente. Wie nehmen Sie das Bundesjugendballett gerade wahr? Das sind ja ganz interessante neue Kräfte, neue Ausdrucksformen vielleicht.
Neumeier: Es ist das Prinzip des Bundesjugendballetts, dass die immer alle zwei Jahre neu sind. Es ist gedacht für die Zeit nach der Ausbildung für besonders talentierte Tänzerinnen und Tänzer, die nicht nur klassisch trainiert sind, sondern auch schon eine Neigung in in Richtung Kreativität haben. Alle zwei Jahre neue Menschen, das ist aufregend.
Schön ist ja auch die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Kammerballett. Das besteht ja aus sechs aus der Ukraine geflüchteten Tänzerinnen und Tänzern, die das Ballett sehr emotional auf die Bühne gebracht haben.
Neumeier: Ja, das finde ich ganz toll in diesem Fall, weil wir ein paar Krankheitsfälle hatten. Dann hatten wir die Idee, die zwei Compagnien zusammen zu tun, um eine wirklich tolle Aufführung für das Ernst Deutsch Theater zu machen. Das ist einfach ein menschlich ganz besonderes, sozial wichtiges Projekt, das Edvin Revazov mit dieser Gruppe macht.
Edvin Revazov ist der erste Preisträger des John Neumeier Preises für Choreografie, der jetzt alle zwei Jahre vergeben wird. Revazov hat mir erzählt, wie er sein Ballett erarbeitet hat: eine Referenz an Mark Twains "Die Abenteuer des Tom Sawyer", und im Titel "The Hills We Climb" steckt ein Zitat aus dem Gedicht von Amanda Gorman, was sie damals zur Amtseinführung von Joe Biden gesprochen hat. Ist das eine klare Referenz zum Amerika von heute und von gestern?
Neumeier: Ja, das ist richtig. Ich war sehr beeindruckt davon wie Revazov diese Übersetzung in ein völlig anderes Medium gemacht hat. So ist es, wenn man Literatur als Vorlage nimmt. Es bedeutet nicht, dass man Seite für Seite oder Kapitel für Kapitel versucht, das zu zeigen oder zu illustrieren, sondern ich finde, er hat wesentliche, vor allem emotionale Momente aus diesen Werk genommen und das sehr, sehr einfühlsam und mit sehr viel Emotion in Tanz übersetzt, in Bewegung übersetzt. Darüber bin ich wirklich sehr glücklich.
Eine große Rolle spielt ein Seil, das auf der Bühne liegt. Das ist, beschrieb er, einerseits ein Spiel. Piraten spielen auf dem Mississippi, aber es kann auch eine Grenze sein. Das Stück behandelt knallharte Themen wie Rassismus, Ausgrenzung, also Themen unserer Zeit. Inspiriert ist das, glaube ich, sehr von Ihren Arbeiten, weil es auch auch das Thema Freundschaft behandelt. Es gibt einen Moment, wo die beiden Tänzer nebeneinander sitzen und sich ganz zart annähern und einer legt dem anderen den Arm um die Schulter.
Neumeier: Ja, er hat den emotionalen Inhalt wirklich sehr bildlich klar gemacht.
Ich sehe in dem Abend "The Hills We Climb" einen sehr politischen Ansatz. Wie nehmen Sie die Situation im Moment vor den Präsidentschaftswahlen in den USA wahr?
Neumeier: Ich nehme es mit großer Nervosität wahr. Ich kann nicht verstehen, dass sie irgendwie überhaupt daran denken, einen Kriminellen als Präsidenten zu wählen. Ich tue alles, was ich kann, dass Kamala Harris diese Wahl gewinnt.
Sie haben viele Freunde in den USA. Erleben Sie da auch manchmal im Freundeskreis diese berüchtigte Spaltung? Oder haben Sie das Gefühl, da gibt es eine starke Gruppe?
Neumeier: Nein, ich kenne keinen Menschen, der Donald Trump wählen würde.
Sie haben vor drei Monaten gesagt, es breche Ihnen das Herz, das das Bundesjugendballett nicht mehr ans Ballettzentrum angegliedert ist. Jetzt die Kooperation mit dem Ernst Deutsch Theater. Haben Sie sich ein bisschen mit der Situation versöhnt?
Neumeier: Ja, das muss ich. Ich habe keine Wahl. Ich finde, die Intendantin Isabella Vértes-Schütter hat wirklich die Situation gerettet, weil ich sonst nicht mehr Intendant des Bundesjugendballetts wäre. Ihre Idee, mit dem Ernst Deutsch Theater zusammen zu arbeiten, war ein wirklich toller Vorschlag. Und wichtig ist, dass diese Gruppe, die so wesentliche Arbeit macht für den Tanz nicht nur für sich selber bleibt, sondern auch soziale Reichweite hat. Wichtig ist, dass das weitergeht und das werde ich mein Leben lang unterstützen.
Es wird weiter diesen engen Kontakt in Hamburg geben. Das höre ich raus, und sie sind voller Energie. Das spüre ich. Danke für das Gespräch.
Das Gespräch führte Peter Helling.