"State of Affairs": Fulminante und bitterböse Komödie am Thalia Theater
Schon lange lebt die in Jerusalem geborene Regisseurin Yael Ronen in Berlin. Dort und in Hamburg sind ihre Arbeiten zu sehen. Nun wurde ihr neues Stück "State of Affairs" am Thalia Theater uraufgeführt.
Es ist in der Regel kein gutes Zeichen, wenn gleich zu Beginn der Vorstellung ein Mensch vor den noch geschlossenen Vorhang tritt: "Hallo, schön, dass Sie alle hier sind, mein Name ist Tim Porath. Ich bin Schauspieler hier an diesem Haus, aber um mich soll es nicht gehen, sondern um dieses Stück: 'State of Affairs'. Um das wirklich verstehen zu können, dazu bedarf es im Grunde … Kontext." Kontext ist das erste Schlüssel- und Reizwort, das an diesem Abend fällt. Wie oft ist es nach dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober verwendet worden.
Um einen Krieg wird es auch in "State of Affairs" gehen - aber ganz anders. Es entwickelt sich eine fulminante, bitterböse Komödie, ein Spiel im Spiel zwischen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Die aberwitzige Idee: Unbekannte Wesen aus der Zukunft nehmen Kontakt mit dem Thalia Theater auf und schicken dem Ensemble Spielszenen, die es aufführen soll, damit ein noch zu findender Zuschauer oder eine Zuschauerin sie später sehen und vielleicht die Welt retten kann.
Theaterstück als Mittel zur Rettung der Welt?
Ein Zeitreisender tritt darin auf, der versucht, den Lauf der Geschichte zu ändern, insbesondere einen großen Krieg zu verhindern. So besucht er u.a. einen derzeit erfolglosen Schriftsteller und fordert ihn – wie auch andere Größen der Geistesgeschichte auf, Passagen seines neuen Romans zu ändern.
Ich hoffe wirklich, du triffst schlauere Entscheidungen und nimmst meine Vorschläge an. Wenn schon nicht für die Welt, dann wenigstens für dich! Du wirst das erste Opfer deines Buches sein. Szene aus "State of Affairs"
Das ist ziemlich schräg und wird mit viel Lust und Selbstironie in Szene gesetzt: Ein Theaterstück als Mittel zur Rettung der Welt? Manchen im Publikum war das zu dick aufgetragen. "Viele Szenen, die sehr klamaukig waren, haben mich ein bisschen irritiert. Da habe ich an Schülertheater gedacht und nicht ans Thalia Theater", findet ein Besucher.
Mit Pathos und Ansprache ans Publikum
Doch braucht es diese Fallhöhe, um die zentrale Szene noch zu verstärken. Der Zeitreisende trifft hier auf einen Soldaten und steckt ihm einen Brief zu, in dem dieser Leid und Zerstörung des Krieges anprangert.
Darüber hinaus glaube ich, dass mein Handeln dazu beitragen kann, die herzlose Gleichgültigkeit zu entlarven, mit denen vielen Menschen zuhause die anhaltende Katastrophe hinnehmen, die sich selbst nicht erleben und nicht vollständig verstehen können. Leutnant Siegfried Sassoon … Szene aus "State of Affairs"
Der britische Schriftsteller Siegfried Sassoon kämpfte im Ersten Weltkrieg. Stille im Saal. Was kann der Einzelne ausrichten? Auch diese Frage deklinieren Yael Ronen und ihr Ensemble durch - nicht ohne Pathos und wenn am Ende das Publikum nochmals direkt angesprochen wird, schwingt eine gehörige Portion Moral mit.
Im Moment denkst du noch, du kannst die stabile Blase, in der du lebst, aufrechterhalten, während die Welt um dich herum aus den Fugen gerät. Und dann handelst du. Du gehst heute Abend nach Hause und kurz bevor du ins Bett gehst, schießt dir ein Gedanke durch den Kopf: Vielleicht meinen die wirklich mich! Und wo immer auch dich dieser Gedanke hinführen wird: Denk daran, die gesamte Zukunft schaut auf dich. Szene aus "State of Affairs"
Kluger Abend mit Albernheiten und schrillen Effekten
Die Schauspieler Maja Beckmann, André Szymanski, Tim Porath und Nils Kahnwald pendeln lässig zwischen den Spielebenen, was so gut vermutlich auch möglich ist, weil Evi Bauer ein kongeniales Bühnenbild entworfen hat: Mit den aus transparenten Schnüren bestehenden Vorhängen werden immer wieder neue Räume geschaffen. Yael Ronen und ihrem großartigen Ensemble ist mit "State of Affairs" ein rasanter, kluger Abend gelungen, der sich Albernheiten traut, durchaus auf schrille Effekte setzt, seinen ernsten Kern aber nie verrät.
"State of Affairs": Fulminante und bitterböse Komödie am Thalia Theater
Regisseurin Yael Ronen ist mit ihrem großartigen Ensemble und "State of Affairs" ein rasanter, kluger Abend gelungen.
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Thalia Theater
Raboisen 67
20095 Hamburg