Machtmissbrauch an Bühnen: "Die Dringlichkeit ist groß"
Nach einer Umfrage des rbb über die Situation an deutschen Theaterbühnen sprechen Befragte von Machtmissbrauch. Sonja Anders, Intendantin des Schauspiels Hannover, machen diese Ergebnisse wütend.
Sie ist selbstbewusst, unabhängig und stark - diese Frau an der Spitze des Schauspiels Hannover. Sonja Anders weiß um ihre Außenwirkung, hat sie darüber doch 2021 in einem Gastbeitrag in der ZEIT geschrieben. Und doch: Auch sie hat Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt erfahren. Früh schon und immer wieder, und sich nie richtig gewehrt.
Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage verwundern sie nicht. Sie machen sie wütend: "Wir sind schon lange an dem Thema dran. Mich schockiert, dass sich immer noch zu wenig tut. Das ist genau wie mit den großen Teilhabe-Fragen. Es tut sich viel zu wenig, dafür, dass die Dringlichkeit so groß ist."
Strukturelle Probleme an den Bühnen tragen zu Machtmissbrauch bei
Also: Wo setzt man an? Die Umfrage der rbb-Kolleg*innen zeigt: Es scheint strukturelle Probleme für die weite Verbreitung von Machtmissbrauch an deutschen Bühnen zu geben. Stichwort: unsichere Arbeitsbedingungen, befristete Verträge.
Aktuell ist es so, dass es im Anhörungsgespräch genügt, wenn der Intendant oder die Intendantin subjektive Gründe benennt, weshalb der Vertrag nicht verlängert wird. Das gehe so nicht, sagt Sonja Anders: "Diese Entscheidung müssen wir begründen. Auch als Chef kann ich nicht einfach sagen: Du gefällst mir nicht, oder deine Arbeit gefällt mir nicht. Sondern da müssen wir lernen. Da können wir auch lernen."
Beschwerden erreichen die Intendanz nicht immer
Trotzdem: Theater sind von oben nach unten strukturiert. Die Intendanz ist die entscheidende Instanz. Darüber macht sich Sonja Anders viele Gedanken: "Mich treibt das wirklich um. Zumal einen wenig erreicht. Die Umwege, die solche Beschwerden nehmen, die sind groß. Ich versuche das immer zu überprüfen und hineinzuhorchen. Natürlich gibt es auch in meinem Betrieb Angst vor meiner Person. Das will ich gar nicht wegreden. Ich finde aber, gleichzeitig gibt es Instrumente, die man anwenden kann. Oder es gibt auch Kontrollinstrumente. Die müssen wir viel mehr ausbauen."
Es gibt Kontrollinstrumente - aber wie gut funktionieren sie?
Natürlich gibt es diese Kontrollinstrumente auch schon. Innerhalb der Theater sind das zum Beispiel Ensemblevertreterinnen, der Betriebsrat aber auch Betriebsvereinbarungen zu Rassismus, Antisemitismus, Sexismus. Auf die kann sich jede und jeder immer berufen. Und dann gibt es öffentliche Vertrauensstellen wie die Themis. Aber, und hier muss nachjustiert werden: Der Austausch zwischen diesen Stellen und den Intendant*innen funktioniert nicht immer: "Wichtig ist dann, dass diese Gremien an die Intendanz rantreten können, dass das auch einen Effekt hat. Und daran arbeiten wir, indem wir uns einfach viel treffen und viel austauschen. Ich finde, Kommunikation ist da wirklich ein großes, wichtiges Tool. Das fehlt an vielen Häusern, auch aufgrund des Stresses und auch des Nicht-Wollens. Aber das kann man natürlich alles überprüfen", so die Intendantin.
Verantwortung müsste verteilt werden
Eigentlich müsse viel mehr Bewegung ins System rein, sagt Sonja Anders. Sie würde sich eine Führung wünschen, wo die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt wird - wo ganz klar sei: Du bist dafür verantwortlich und ich für was anderes. "Ich bin ein Fan von diesen holokratischen Modellen, die mich dann irgendwann hoffentlich mal überflüssig machen als Chefin", sagt Anders. "Wir sind da auch noch nicht so ganz. Aber so eine Evaluation würde ich schon gern mal betreiben."
Frauen sind häufiger betroffen - und deshalb traurigerweise kompetenter
Apropos "überflüssige Chefin": Wie sieht das die Intendantin des Schauspiels Hannover? Welche Bedeutung spielt die Tatsache, dass sie eine Frau ist? "Wir leben in einem Patriarchat. Die Frauen haben eine größere Erfahrung was den Macht- und vor allem was den sexuellen Machtmissbrauch angeht", sagt Sonja Andres. "Deshalb sind sie eigentlich kompetenter. Dass sich das nicht durch die Bank weg in der Führungsstruktur niederschlägt, dass es sich manchmal sogar umkehrt, das ist ja was anderes. Aber ich finde, die Kompetenz ist traurigerweise bei den Frauen natürlich stärker."