Machtmissbrauch an Bühnen: "Mit dem ganzen Mist aufräumen"
Laut einer aktuellen Umfrage des rbb findet an deutschen Bühnen nach wie vor Machtmissbrauch statt. Im Gespräch erzählt Schauspieler Heinrich Schafmeister, welche Erfahrungen er in seiner Karriere gemacht hat.
"Kaum jemand traut sich mehr, sich kritisch zu äußern, aus Angst, das könnte zu Nichtverlängerung führen." Das ist ein Satz aus einer Umfrage des rbb über Machtmissbrauch an deutschen Bühnen, an der Bühnenschaffende aus ganz Deutschland teilgenommen haben. 90 Prozent gaben an, persönlich schon mit einer Form von Machtmissbrauch konfrontiert gewesen zu sein. Es geht um Drohungen, man würde gekündigt, aber auch - in Einzelfällen - um sexualisierte Gewalt oder Handgreiflichkeiten.
Schauspieler Heinrich Schafmeister erzählt im Gespräch mit NDR Kultur von der einstigen "wie selbstverständlichen" Einstellung der Beteiligten am Bühnen und Filmsets, dass es dort "wie im Krieg" sei. Das habe er schon immer bemängelt und meint, wenn Theater oder Film 'wie Krieg' seien, müsse man Theater und Film abschaffen. Er sieht, dass sich bei der jüngeren Generation der Kreativen ein Wandel abzeichnet, um "mit dem ganzen Mist" aufzuräumen.
Herr Schafmeister, erstaunt Sie das Ergebnis der Studie?
Heinrich Schafmeister: Ich bin 66 und habe 1984 angefangen. Mich überrascht das gar nicht. Mich überrascht nur, dass das erst so spät zum Thema wird, weil es immer schon so gewesen ist und eigentlich noch schlimmer. Was jetzt besser ist, ist, dass jetzt Generationen dran sind, die sich so etwas nicht mehr gefallen lassen.
Ich höre Ernüchterung aus einer langen Karriere heraus ...
Schafmeister: Es gibt einen Wahlspruch in unserer Gewerkschaft: Es ist der schönste Beruf der Welt, den man nicht weiterempfehlen kann. Es gibt viele tarifliche Baustellen, aber die können natürlich nicht entschuldigen, wenn sich Leute so danebenbenehmen: Machtmissbrauch, Diskriminierung, sexuelle Belästigung. Das ist unentschuldbar. Aber natürlich gedeiht so ein Unkraut besser, wenn die Arbeitsbedingungen schlecht sind.
Wo würden Sie die Gründe dafür sehen, dass so lange an diesem System festgehalten worden ist und das so geduldet wurde?
Schafmeister: Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und waren noch schlechter. Früher hat man zum Beispiel wie selbstverständlich gesagt: "Theater (und Film) ist wie Krieg". Das hat man glorifizierend gemeint. Wenn man mit so einer Einstellung zur Arbeit geht, und wenn das Common Sense ist, darf man sich nicht wundern, wenn sich so etwas herausgenommen wird.
Dahinter steht auch ein Leistungsethos von Genialität und Durchdrehen. Das gehört alles dazu, oder?
Schafmeister: Ja. Was hat man Kinski-haftes Verhalten glorifiziert, dass das große Kunst sei. Bullshit ist das. Wenn Theater oder Film wie Krieg ist, dann muss man Theater und Film abschaffen. Das habe ich früher gesagt und das sage ich jetzt. Aber jetzt gibt es Generationen - das ist meine Hoffnung - die sich das einfach nicht mehr gefallen lassen. Dann ist mal Schluss mit diesem Nichtlustig.
Sie sagen, die neue Generation hat eine andere Haltung den Themen gegenüber. Gleichzeitig werden wahnsinnig viele Serien im Moment gedreht, wir haben aber einen Fachkräftemangel im Filmbereich. Ist das auch ein Grund?
Schafmeister: Ganz Deutschland hat einen Fachkräftemangel. Aber bei uns ist das deswegen besonders, weil die Arbeitsbedingungen denkbar schlecht sind. Am Theater ist es einer der ältesten Tarifverträge, die es überhaupt gibt.
Es gibt keine geregelten Arbeitszeiten und diese Verhandlungen sind jetzt komplett gescheitert. Ich glaube schon, dass die Leute, mit denen wir verhandeln, auch interessiert sind, Arbeitszeitregelungen zu machen. Aber die die Mächte, die dahinter stehen - das sind die Kommunen, die Kämmerer und die Träger dieser öffentlich-rechtlichen Theater -, denen ist das schnuppe.
Bei den Theatern sehe ich auch keine sonderlich positive Perspektive, weil öffentliche Mittel in den nächsten Jahren nicht mehr werden. Wie schätzen Sie das beim Film und bei Serien ein?
Schafmeister: Da glaube ich schon, dass es besser werden kann. Auch dort war es früher viel, viel schlimmer. Das war alles viel, viel schlimmer. Das, was ich in dieser Studie gelesen habe, sind alles Sachen, die ich selbst erlebt habe. Das war früher viel dreister. Nur dass es so selbstverständlich war, dass man darüber gar nicht nach draußen redete.
Was war das Schlimmste, was Sie erlebt haben?
Schafmeister: Das Schlimmste, was ich erlebt habe, ist, dass ich daneben stehen musste, wie ein ganz berühmter Schauspieler eine Hospitantin rausschmeißen wollte, weil er mit ihr nicht ficken konnte.
Haben Sie eingegriffen?
Schafmeister: Nein. Ich habe Angst gehabt, dass der im nächsten Moment dasselbe mit mir macht. Ich war noch ein recht unbekannter Schauspieler, und ich habe gedacht: "Wenn der das gleich mit mir macht, was dann?" Ich hatte mir fest vorgenommen, dass, wenn er das mit mir macht, dass ich ihm dann in die Fresse haue und abhaue. Ich habe mir alles durchgerechnet, was das für Konsequenzen für meine Karriere hätte: Ich wäre den Film los und so weiter. Aber das war so entsetzlich - ich hatte Angst um mich. Erst Jahre später habe ich mich gefragt, ob ich der Frau hätte helfen können.
Was macht Ihnen insgesamt Mut - trotz dieser ernüchternden Ergebnisse?
Schafmeister: Seit 17 Jahren war ich jetzt im Vorstand, wir haben eine Schauspielergewerkschaft gegründet, es gibt das Ensemble-Netzwerk, die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger ist neu, die Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles ist neu aufgestellt. Mir macht Hoffnung, dass eine neue Generation und ein neuer Schwung kommt, um mit dem ganzen Mist aufzuräumen.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.