Hilfsprogramm Neustart Kultur: Galerien und Kunstmessen bevorteilt?
Im ersten Pandemiejahr sind über 100 Millionen Euro aus dem Corona-Hilfsprogramm "Neustart Kultur" in die Bildende Kunst geflossen - ohne den Bedarf zu prüfen.
Das erste Pandemiejahr 2020 war sicher keines, in dem Gesetze mit besonders viel Sorgfalt oder Umsicht entstanden sind - es musste schnell gehen, auch in der Kultur. Über 100 Millionen Euro aus dem Corona-Hilfsprogramm 'Neustart Kultur' sind in die Bildende Kunst geflossen nach dem Gießkannenprinzip. Eine Recherche von Deutschlandfunk Kultur zeigt: Mit der "Kulturmilliarde" wurden Galerien und Kunstmessen gefördert, ohne den Bedarf zu prüfen.
Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler warnte vor Umsatzeinbußen
Im Sommer 2020 muss es schnell gehen - die Kulturszene befürchtet große Umsatzeinbußen wegen der Pandemie-Maßnahmen. Um satte 60 bis 100 Prozent könnten die Umsätze deutscher Galerien zurückgehen, warnen zum Beispiel der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Schnell wird ihr klar, sie brauch die Hilfe von Stiftungen, Verbänden und Unternehmen der einzelnen Kultursparten, um das Geld von 'Neustart Kultur' zu verteilen. "Erst war es eine Milliarde, ein halbes Jahr später kam die zweite. Wie gehen wir jetzt damit um? Wenn man zwei Milliarden hat, kann man noch nicht sofort die Menschen bedienen, die litten aber alle irgendwie Not. Da gab es Zeitdruck und es gab kein Drehbuch für solch eine Situation."
Schwer nachvollziehbar: Wer hat wieviel Geld bekommen?
Das Problem für die Öffentlichkeit bei dieser Vorgehensweise: Mehr als zwei Jahre später ist es schwer nachzuvollziehen, an wen wieviel Geld ausgezahlt wurde. Ein Team von Deutschlandfunk Kultur hat versucht, das herauszufinden und ist der Frage nachgegangen, wie sinnvoll die Mittel eingesetzt wurden. Mehr als 20 Förderprogramme und Programmmodule von 'Neustart Kultur' aus dem Bereich Bildende Kunst haben die Journalisten durchleuchtet. Dabei kommt heraus: Mehr als 100 Millionen Euro sind in den Kunstbereich geflossen. Etwa 30 Prozent dieser Gelder gingen an Kunstmessen und Galerien, also an Unternehmen des kommerziellen Kunstmarktes.
Viele große Galerien wurden gefördert
Die Stiftung Kunstfonds in Bonn gehört zu den Dachverbänden, die auf Wunsch des Kanzleramts mehr als 75 Millionen Euro an Fördergeldern ausschüttet. Über die Galerien sagt die Geschäftsführerin Karin Lingel: "Die haben eine erfolgreiche Lobbyarbeit gemacht, das muss man anerkennen." Unter den Geförderten finden sich große Namen der Branche, wie etwa die König Galerie, Eigen + Art, Esther Schipper und Sprüth Magers. 70.000 Euro bekamen die Galerien maximal, um Ausstellungen in den eigenen Räumen zu machen oder Kataloge zu drucken. Darüber hinaus entwickelte Monika Grütters als zweite Säule ein Messen-Förderprogramm, das ihre Nachfolgerin Claudia Roth bis heute fortführt.
Zusätzlich gibt es ein Messe-Förderprogramm
Bis zu 70 Prozent jedes Standes auf ausgewählten Kunstmessen, wie zum Beispiel der 'Art Karlsruhe' oder den 'Positions' in Berlin zahlten die Steuerzahler. Bei der 'Art Cologne', die Mittwoch beginnt, sind es immerhin gut 30 Prozent. Dieses Messe-Förderprogramm hat einen Umfang von mehr als 12 Millionen Euro. Offenbar ging es den Galerien wirtschaftlich aber gar nicht so schlecht, wie zu Beginn der Pandemie befürchtet. Statt Umsatzverlusten machten viele sehr gute Geschäfte. Kunden kauften im ersten Pandemie-Jahr offenbar vermehrt Kunst. Galeristin Heike Strelow aus Frankfurt beschreibt die Situation im Rückblick so: "Also bei uns sind viele dann doch vorbeigekommen, die sich sonst eigentlich auf dem internationalen Markt bewegen, die gar nicht ständig die Frankfurter Galerien aufsuchen. Aber das haben sie diesmal gemacht. Auf diese Weise haben wir viele neue Kunden gewonnen."
Prüfung des tatsächlichen Bedarfs war nicht möglich
Obwohl die Pandemiejahre für den Kunstmarkt offenbar besser liefen als erwartet, erhielten Galerien und Kunstmessen zusätzlich noch Neustart Kulturgelder aus einem weiteren Förderprogramm. Verwaltet wird es vom Deutschen Verband für Archäologie und ist eigentlich für private Museen, Ausstellungshäuser und Gedenkstätten aufgelegt worden. Mehr als 150 Unternehmen des Kunstmarktes ließen sich so Computer, Webseiten, Sanitäranlagen oder den Umbau ihrer Ausstellungsräume finanzieren.
Monika Grütters, die damalige Kulturstaatsministerin, sagt heute dazu, man habe sich im Sommer 2020 bewusst für das Prinzip Gießkanne entschieden. "Es ist doch besser sie brauchen es nicht und kriegen es trotzdem, als hätten sie es nötig gehabt und nicht bekommen, weil es das nicht gab. Das war vorher nicht absehbar. Die haben genauso gelitten und genauso um Hilfe gebettelt, wie alle anderen Gewerke." Eine Prüfung des tatsächlichen Bedarfs anhand von Bilanzen sei in der Akutsituation nicht möglich gewesen, so die CDU-Politikerin.