Hamburgs Bühnen: Nachhaltigkeit als künstlerisches Prinzip
Bei der jüngsten Premiere des Hamburg Balletts faszinierten die Tänzerinnen und Tänzer in recycelten Kostümen. Und auch andere Hamburger Häuser setzen auf Wiederverwertung. Das dient nicht nur der Nachhaltigkeit.
Dieses grinsende Schweinchen braucht 50 Cent, dann beginnt es, fröhlich zu wippen. Freie Fahrt zum Draufsetzen. Ein Stück Jahrmarkt, hier im Malersaal des Schauspielhauses ist es pechschwarz angemalt. Und gehört zum Raumkonzept "Realnische 0": der Gang, das Foyer, die Bühne werden zur eigenen poetischen Welt. Künstlerin Julia Oschatz hat sie erschaffen.
"Das gehört zum Grundkonzept, wir haben da viel die Fundis durchstreift und nach Sachen gesucht, die dann auch freigegeben wurden, um sie schwarz zu machen oder zu beschreiben", erzählt Julia Oschatz. Fast ein Jahr lang hat sie den riesigen Fundus des Theaters durchforstet, stieß dabei auf Teile ganzer Bäume, auf nachgebildete Robben und ein Riesenfaultier, auf alte Spielautomaten, Telefonzellen und Kirchenbänke.
Preisgekröntes Bühnenbild wird wiederverwertet
"Wenn wir jetzt von Einsparung und Klimaschutz reden, dann ist das ja immer so ne Verzichtsdebatte. Wir haben so viel Zeug, warum sollen wir nicht was Tolles draus machen können? Das ist ja alles da", sagt Dramaturg Christian Tschirner. Alles wird wiederverwertet. Da stammen Bühnen-Unterbauten aus dem Musical "Lazarus" und Bühnenwände vom letzten Stück der Theatergruppe Signa, übrigens das Bühnenbild des Jahres 2024. Alt wird neu, alles verbindet sich zu einem schwarzweißen, grafischen Wimmelbild, einem aufregend utopischen Raum. Nachhaltigkeit auf die Spitze getrieben. "Das ist jetzt hier so ein Denkraum, könnte man’s nennen", sagt Julia Oschatz.
Nachhaltigkeit ist das Thema der Stunde, aber eigentlich gibt es das schon lange. Wie gleich nebenan, im Ohnsorg Theater. "Bei uns ist es immer schon so gewesen, dass wir versucht haben, auch Kosten-Ersparnis zu erzielen und dadurch auch hier geguckt haben, was können wir wiederverwenden", sagt der Theater-Tischlermeister Jonas Siebert. Verblüffend, denn all die vor Detailliebe strotzenden Bühnenbilder im Ohnsorg sind nach einem Baukastenprinzip entstanden.
Wiederverwertung dank Normgrößen am Ohnsorg
"Alles, was bei uns normal gegenständliches Theater ist, fertigen wir mit Kulissenwänden, die immer nach dem gleichen Muster gebaut sind. Wir haben immer ne Höhe von 2,67 Meter", sagt Lars Müller, der Technische Leiter des Hauses. Die Wände werden immer wiederbenutzt, neu bemalt, beklebt: ob als Ziegelwand, ob mit bunten Fliesen oder mit Blümchentapete. "Der Teil, den wir wirklich wegwerfen müssen, der bleibt unglaublich gering", ergänzt Jonas Siebert.
Die meisten Bühnenbilder werden zwischengelagert – oder weitergegeben: Das aktuelle Bühnenbild der "Weihnachtsgans Auguste" geht komplett an ein anderes Theater. Neben der Tischlerei liegen alte Messingtürklinken in zig Schubladen und warten auf ihren nächsten Einsatz. Kunst, CO2-Neutralität und Kostenersparnis gehen hier Hand in Hand.
Altes im neuen Look erzählt Geschichten
Wie "Aus Alt mach‘ Neu" zum künstlerischen Prinzip wird, zeigt auch das Hamburg Ballett. Dort hatte gerade mit „Slow Burn“ ein Stück Premiere, in dem mehr als 30 Jahre alte Kostüme aus dem eigenen Kostümfundus neu eingefärbt wurden – in leuchtendes Orange, wie lodernde Flammen.
Auch wenn Theater nicht das Klima retten können: Sie leisten jetzt schon einen wichtigen Beitrag und bieten einen sinnlichen Raum zum Nachdenken. Ein schöner Nebeneffekt des Recyclings: Das Alte im neuen Look erzählt auch verdammt gute Geschichten.