Eine Frau steht von Eselköpfen umringt auf einer dunklen Bühne © Silke Winkler Foto: Silke Winkler

"Gesichter" von Tove Ditlevsen auf der Bühne in Schwerin

Stand: 05.10.2023 15:19 Uhr

Tove Ditlevsen war im 20. Jahrhundert eine erfolgreiche Autorin in Dänemark. In Deutschland wurde sie erst richtig 2021 bekannt. Dabei behandeln ihre Werke bis heute aktuelle Fragen, wie ein Stück in der M*Halle zeigt.

von Axel Seitz

"Gesichter" spielt im Dänemark der 60er-Jahre. Lisa Mundus ist eine erfolgreiche Schriftstellerin mit einem untreuen Ehemann und drei Kindern, die einen engeren Kontakt zum Hausmädchen als zur Mutter haben. Sie selbst hat den Kontakt zur Realität, den Glauben an die Welt verloren. Nach einer Überdosis Tabletten wird Lisa Mundus in die Psychiatrie eingeliefert. "Lasst mich doch einfach in Ruhe, etwas andere habe ich doch nicht gewollt. Ja, ich interessiere mich nicht für diese Welt. Ich will einfach nur leben und ich will schreiben. Ich will einfach nur Ich-Selber-Sein", sagt sie dort.

Realitäten verwischen

Doch dieses "Ich-Selber-Sein" fällt der Schriftstellerin schwer, sie hört Stimmen, sieht "Gesichter". Diese vermischen sich in der Schweriner Inszenierung. Der Ehemann ist plötzlich der Arzt, eine Patientin die Mutter: "Die Gesichter können wechseln, die Leute teilen sich ihre Gesichter. Die Menschen haben mehrere Gesichter und das ist für mich ein ziemlich starker Ausdruck", sagt die Regisseurin Alice Buddeberg. Jeder Mensch identifiziere sich auch dadurch, was andere in ihm sähen: "Aber wenn ich mir nicht sicher sein kann, dass der andere derjenige ist, für den ich ihn halte, bin ich mir auch meiner selbst nicht mehr sicher. Dieses Verlorengehen übersetzt sie im Spiel, indem nie klar ist, wer welche Figur ist oder wer gerade wen spielt.

Der Ort ist Bühnenbild genug

Alice Buddeberg führt nicht nur Regie, sondern schuf gemeinsam mit Dramaturg Philip Klose auch die deutschsprachige Erstfassung. In der Spielstätte M*Halle agieren drei Schauspielerinnen und drei Schauspieler. Ein Bühnenbild gibt es kaum. Die M*Halle fungiert als solches. Da ist etwa diese riesige von Streben durchzogene Scheibe, die an Krankenhäuser erinnert. Für Regisseurin Buddeberg stellt sich aus dem Raum selbst das Gefühl des Gefesseltseins her, ein Gefühl, das sie mit der Psychiatrie in Verbindung bringt. "Und so glaube ich, erzählt sich aus der Örtlichkeit und natürlich aus der Art des Beobachtetwerdens, was es bedeutet, ständig unter Aufsicht zu sein", sagt die Regisseurin. Zugleich stelle sich die Frage, was sich real abspiele und was lediglich in Lisas Kopf. "Das lässt sich, glaube ich, über eine leere Bühne besser transportieren als über eine ausgestattete."

Herausforderung für Hauptdarstellerin Antje Trautmann

Tove Ditlevsen

Tove Ditlevsen war eine dänische Schriftstellerin (1917 bis 1976). Sie schrieb Gedichte und autobiografische Romane. In Deutschland sind die meisten ihrer Bücher erst nach ihrem Tod (Suizid) erschienen. 2021 brachte der Aufbau-Verlag ihre "Kopenhagener-Trilogie" heraus.

Die Rolle der Lisa Mundus hat in der Schweriner Inszenierung Antje Trautmann übernommen. Von Beginn an steht die Schauspielerin auf einer Stelle, festgeklebt, fixiert - in ihrem Klinikbett wie in ihren Gedanken. Eine besondere Herausforderung für Antje Trautmann: "Grundsätzlich bin ich immer sehr in Bewegung, wenn ich spiele. Aber als mir Alice erklärt hat, dass sich diese Figur nicht bewegen kann, sie festgeschraubt ist am Boden, war das für mich klar", sagt sie. Dieses sich nicht von der Stelle bewegen können und trotzdem mit den anderen zu agieren, gelingt Antje Trautmann sehr überzeugend, auch weil sie sich auf ihre wunderbaren Kollegen verlassen kann, wie sie sagt.

Tove Ditlevsen © picture alliance / Ritzau Scanpix Foto: Jette Ladegaard
Tove Ditlevsen, geboren 1917, nahm sich 1976 das Leben.

Tove Ditlevsen veröffentliche ihrBuch "Gesichter"1968. Mehr als ein halbes Jahrhundert später ist der Stoff für Regisseurin Alice Buddeberg aktueller denn je. "Er stellt die Frage, wie lange ich Kontrolle über meine Wahrnehmung habe. Woran es liegt, dass ich diese Kontrolle verliere", sagt sie. Fein aufgeblättert und sehr genau nachvollziehbar zeige der Roman auf, wie jemand an dieser Welt zerbreche. "Am Ende steht die Frage, ob wir nicht alle versehrt sind, auch wenn wir augenscheinlich als gesund durchgehen. Das ist eine Frage, die im Moment wirklich brennend ist."

 

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"Gesichter" von Tove Ditlevsen auf der Bühne in Schwerin

Das Mecklenburgische Staatstheater inszeniert den vielschichtigen Roman der dänischen Autorin als kluges Gesellschaftsdrama.

Art:
Bühne
Datum:
Ende:
Ort:
Mecklenburgisches Staatstheater M*Halle
Gutenbergstraße 1
19061  Schwerin
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 06.10.2023 | 19:00 Uhr

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