Salman Rushdie: Wie geht es ihm nach dem Anschlag?
Nach der Messerattacke auf Salman Rushdie im vergangenen August war der Autor untergetaucht, bis im Februar sein neues Buch "Victory City" in den USA erschien. Jetzt wurde es auf Deutsch veröffentlicht.
Seine Hand will nicht mehr gut schreiben. Er hat nur noch wenig Gefühl in den Fingerspitzen. DochSalman Rushdiekann inzwischen darüber reden. Seit dem Anschlag im vergangenen August hatte er das nicht getan - bis sein neuer Roman im Februar in den USA herauskam. Rushdie kam wieder hervor - mit Hilfe eines befreundeten Journalisten des Magazins "New Yorker". David Remnick fragte ihn, wie er die Messerattacke verarbeitet hat. Die großen Verletzungen habe er über der rechten Wange, er hatte Wunden in der Brust und der Leber, sagt Rushdie.
Salman Rushdie und die Folgen der Messerattacke
Eine der bösesten Folgen des Anschlags zeigt der lächelnde Rushdie auf einem Foto, das er auf Twitter postet: Ein Sonnenbrillenglas verdeckt darauf das rechte Auge. Durch den Angriff hat Salman Rushdie es verloren. Er habe versucht, nicht in die Rolle eines Opfers zu gleiten, gesteht der 75-Jährige in Auszügen des Interviews im Radiosender NPR. Sonst würde er doch da sitzen und sich fragen müssen, warum jemand mit einem Messer auf ihn eingestochen habe. Rushdie sagt allerdings auch: Das tue er oft.
Und auch, dass es ihm wehtut. Nicht nur körperlich. Einen Stich hat dieses Messer seines Angreifers Rushdie auch in die Seele gegeben. Die Waffe eines 24-Jährigen, der mutmaßlich tat, was der ehemalige iranische Religionsführer Khomeini 1989 mit einer Fatwa gegen Salman Rushdie forderte: den Autor für seine Gotteslästerung im Buch "Die Satanischen Verse" zu töten. Lange war Rushdie untergetaucht. Bis er in den 1990er-Jahren nach New York zog und dort allmählich wieder der Freiheit vertraute. Ein Leben fast ohne Sicherheitsmaßnahmen führte. Diesen Trotz habe Rushdie beibehalten, sagt Remnick: "Er ist so trotzig wie zur Hochphase der Fatwa, obwohl die offensichtlich nie vorbei war. Er ist entschlossen, weiterzuschreiben. Er ist glücklich verheiratet. Er tut das Beste, was er kann. Aber ohne Frage hat er einen hohen Preis gezahlt."
Die feministische Geschichte eines indischen Waisenmädchens
Rushdie spricht selbst von einem posttraumatischen Stresssyndrom, das der Angriff in einer Bildungseinrichtung in Upstate New York bei ihm ausgelöst hat. Doch eins will er nicht, sagt er: "Die Leute sollen das Buch nicht aus Mitleid lesen, sondern, weil sie die Geschichte lesen wollen." Darum muss sich Rushdie erstmal keine Sorgen machen. Der Roman, den der indisch-britische Schriftsteller wenige Wochen vor dem Anschlag fertig geschrieben hatte, wird seit Wochen in den USA quer durch die Kritiken gefeiert: Als feministischer Roman - und dafür ist Rushdie nicht unbedingt bekannt gewesen.
"Victory City" ist die Geschichte des indischen Waisenmädchens Pampa Kampana. Sie erhält von einer Göttin übernatürliche Kräfte und gründet die Stadt Bisnaga, deren Name übersetzt "Stadt des Sieges" heißt. All ihr Handeln beruht auf der großen Aufgabe, die ihr die Göttin gestellt hat: den Frauen eine gleichberechtigte Rolle zu geben, sagt auch "New Yorker"-Autor Remnick: "Es ist interessant: Salman Rushdie ist wie andere männliche Schriftsteller schon dafür kritisiert worden, dass er nicht feministisch genug ist. Ich denke, das hier ist ein klar feministisches Buch. Die Heldin, die die Geschichte erzählt, ist eine Frau, die zumindest vorübergehend die Patriarchie besiegt."
"Victory City": Unbewusster Hieb gegen das iranische Regime
Eines seiner stärksten Bücher in den vergangenen 20 Jahren, sagt Remnick. Ein unbewusst versetzter Hieb auch gegen das iranische Regime, in dem seit Monaten Frauen für mehr Rechte demonstrieren. Ein Buch, mit dem sich Salman Rushdie wie schon so oft als Kämpfer für Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit stark macht. Dieses Buch stehe für sich allein, meint auch die befreundete Filmemacherin Deepa Mehta: "Ich bin so froh, dass ich das Buch vor dem Anschlag gelesen habe und dann nochmal danach. Natürlich habe ich gedacht, ja, das ist ironisch, was passiert ist. Aber niemals habe ich gedacht, dass das Buch dadurch an Bedeutung gewonnen hat. Es war schon vorher so stark, denn es ist brillant."
Auch wenn es sonst nicht die Art des Autors mit dem nicht ganz kleinen Ego ist, so ist Rushdie aus verschiedenen Gründen nicht persönlich mit seinem Buch auf Tournee. Doch eins, sagt der Autor, habe die Veröffentlichung in ihm ausgelöst: Er ist zurück: "Ich bin damit fertig geworden, weil ich nicht zurück, sondern nach vorne geschaut habe. Was morgen passiert, ist wichtiger, als das, was gestern war."
Victory City
- Seitenzahl:
- 416 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Englischen von Bernhard Robben.
- Verlag:
- Penguin Random House
- Veröffentlichungsdatum:
- 20. April 2023
- Bestellnummer:
- 978-3-328-60294-1
- Preis:
- 26 €