Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Salman Rushdie
Der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der 76-Jährige bekommt die Auszeichnung im Herbst in der Frankfurter Paulskirche. Dazu ein Gespräch mit NDR Literaturredakteur Alexander Solloch.
Der im indischen Bombay (heute Mumbai) geborene Autor verbinde "erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit", teilte der Stiftungsrat des Friedenspreises in Frankfurt am Main mit. Weil der iranische Ayatollah Khomeini 1989 eine Fatwa gegen ihn ausgesprochen habe, lebe er in ständiger Gefahr. Kurz vor Veröffentlichung seines jüngsten Romans "Victory City" im August 2022 wurde Rushdie bei einem Anschlag verletzt.
"Einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit"
Dennoch sei er "nach wie vor einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache", so das Lob des Stiftungsrates. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Auszeichnung wird traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse (22. Oktober) in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Im vergangenen Jahr wurde der ukrainische Schriftsteller, Übersetzer und Musiker Serhij Zhadan geehrt.
Im Gespräch beleuchtet Alexander Solloch aus der NDR Kultur Literaturredaktion die Bedeutung der Auszeichnung für Rushdie.
Herr Solloch, das ist sicher keine überraschende Entscheidung, oder?
Alexander Solloch: Nein, es ist eine ganz und gar naheliegende Entscheidung. Aber darin liegt vielleicht die ganz kleine Überraschung dieser Auszeichnung. Zum Beispiel ist es das zweite Mal hintereinander, dass ein Schriftsteller, also ein genuiner Erzähler, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewürdigt wird. Im vergangenen Jahr war es der ukrainische Autor Serhij Zhadan. Zwei Autoren hintereinander: Das gab es schon lange nicht. Denn dieser Preis ist ja nicht notwendigerweise ein literarischer. Er kommt aus dem Literaturbetrieb, hält aber all jene Männer und Frauen für auszeichnungswürdig, die sich in den Künsten, in den Wissenschaften, für die Ausbreitung der Idee von Frieden und Freiheit engagieren. So wurden etwa auch die Filmemacherin Tsitsi Dangarembga, der Fotograf Sebastião Salgado oder der bildende Künstler Anselm Kiefer ausgezeichnet.
Die Auszeichnung von Salman Rushdie ist so naheliegend, dass man fast schon gar nicht mehr darauf gekommen wäre. Viele haben es ja im vergangenen Jahr so empfunden, dass die Schwedische Akademie den richtigen Zeitpunkt verpasst hatte, ihn mit dem Literaturnobelpreis auszuzeichnen. Das war wenige Wochen nach dem Anschlag auf Rushdie am 12. August nahe New York, den er nur knapp überlebt hat, nachdem ein islamistischer Fanatiker während einer öffentlichen Veranstaltung auf ihn eingestochen hatte. Ein Auge hat Rushdie dabei verloren, nicht aber seinen Lebensmut, seinen Witz und seinen Charme. In einer ersten Stellungnahme zu diesem Preis, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gerade veröffentlicht hat, erklärt Rushdie: "Ich kann der Jury nur für ihre Großzügigkeit danken. Ich weiß, wie bedeutsam dieser Preis ist. Und ich bin ein wenig eingeschüchtert von der Liste der bisherigen Preisträger." Ich glaube, künftige Preisträger und Preisträgerinnen werden eingeschüchtert davon sein, dass Salman Rushdie ihr Vorgänger ist.
In der ersten Reaktionen liest man, Salman Rushdie sei ein würdiger Friedenspreisträger. Gehen Sie da mit?
Solloch: Ja, weil Rushdie ganz und gar und wie nur wenige für die unbedingte Freiheit des Erzählens steht. Eine Freiheit, die zwar gestört werden kann, die angefochten werden kann, die aber niemals zerstört werden kann. Dass das so klar und unbestreitbar zutage liegt, ist eben das große Verdienst dieses britisch-indischen Schriftstellers. Er wurde 1947 in Bombay, dem heutigen Mumbai, geboren und ist dort bis zu seinem 14. Lebensjahr aufgewachsen. Er hat seine Schulausbildung in England abgeschlossen und in Cambridge Geschichte studiert. Schon mit seinem vierten Roman, "Die satanischen Verse", einer sehr verwickelten, fabulierenden, unheimlich beziehungsreichen und gar nicht so leicht interpretierbaren Geschichte aus dem Leben des Propheten Mohammed, wurde Salman Rushdie 1988 weltberühmt. Er bekam viele Preise und wurde vom iranischen Regime wegen angeblicher Gotteslästerung mit einer Fatwa belegt, also quasi mit einem Todesurteil, denn diese Fatwa bedeutete die Aufforderung an alle gläubigen Muslime, ihn zu töten.
Viele Jahre lang hat Rushdie abgeschottet gelebt, immer unter Polizeischutz. Aber er hat sich nie sichtbar von dieser Bedrohung beeindrucken lassen, hat sich die Freiheit des Erzählens nicht nehmen lassen. Er hat immer weiter geschrieben und irgendwann sogar angefangen, Witze zu machen über diese schreckliche Bedrohung. Auch hat er nach etwa 20 Jahren begonnen, sich allmählich wieder sicherer zu fühlen und sich freier zu bewegen. Es gab ja auch immer widersprüchliche Signale aus Teheran, die mal bedeuteten, dass die Fatwa praktisch nicht mehr gelte, dann wurde das wieder zurückgenommen. Dass jetzt, 35 Jahre nach der Fatwa, tatsächlich das passiert ist, was man immer befürchten musste, war natürlich ein schwerer Schock. Dieser Preis setzt dieser Gewalt jetzt die größere Macht der Würde entgegen.
Es geht bei diesem Preis ja immer auch darum, eine Botschaft zu platzieren. Welche Botschaft steckt in dieser Entscheidung?
Solloch: Ich würde eine doppelte Botschaft in dieser Entscheidung sehen, eine allgemeine und eine konkrete. Die allgemeine geht aus dem hervor, was ich gerade schon gesagt habe: Die Kultur, die Kunst und die Literatur weichen nicht der Gewalt. Sie weichen nicht dem Hass und der Dummheit. Die Kultur ist immer stärker und klüger. Die Bücher sind immer stärker und klüger. Aktuell und ganz konkret betrachtet: Ich glaube, in diesem Preis kann man auch eine Unterstützung für die vielen Demonstrierenden in Teheran sehen, die gerade etwas aus dem Fokus unserer Beobachtung geraten sind wegen der vielen anderen Konflikte weltweit. Dies ist auch ein Preis gegen ein Regime, das die eigene Bevölkerung terrorisiert. Jetzt wird es interessant zu sehen, was es für eine Preisverleihung sein wird Ende Oktober bei der Buchmesse in Frankfurt, vor allem, wer dann die Laudatio sprechen wird. Möglich wäre zum Beispiel der mit ihm befreundete Schriftsteller Daniel Kehlmann.