"Parade": Aufrüttelnder Roman über den Kampf der Geschlechter
Das Werk "Parade" der britischen Schriftstellerin Rachel Cusk ist geprägt von inhaltlicher Radikalität und brillanten erzählerischen Einfällen. Ein Ausflug in gleich mehrere Künstlerwelten.
In frühen Büchern wie "Lebenswerk" untersuchte sie autobiografisch verschwiegene Wahrheiten über das Thema Mutterschaft. In der "Outline"-Trilogie verschwindet ihre Hauptfigur Faye im Zuhören. Fremde Menschen erzählen ihr ihre intimsten Geschichten. Faye selbst ist nichts weiter als ein Katalysator. An dieser Stelle knüpft ihr neuer Roman "Parade" an, der in der englischsprachigen Presse für seine Künstlichkeit verrissen wurde.
Gewalterfahrung führt zu Erkenntnis
Während ihr Mann, der Maler G, durch seine Bilder zu Ruhm gelangt, die, à la Georg Baselitz, auf den Kopf gestellte Menschen zeigen, wird seine Frau in Paris vor einem Café von einer zornigen Frau auf den Kopf geschlagen. Die Erfahrung reiner Gewalt durch eine Geschlechtsgenossin führt sie zu einer wichtigen Erkenntnis.
Wie ich jetzt sah, hatte ich meine weibliche Erfahrung für gewöhnlich einem alternativen oder doppelten Selbst zugeschrieben, dessen Aufgabe es war, sie zu absorbieren und einzuhegen, damit sie in der fortlaufenden Geschichte des Lebens keine Rolle spielte. Einer Stuntfrau gleich nahm dieses Selbst bei der Gestaltung einer fiktiven Person, deren vermeintliche Identitätsgrundlage es war, Gefahren ausgeliefert zu sein, alle Risiken auf sich. Obwohl dieses Selbst keinen Namen und keine eigene Identität hatte, erschuf es die Möglichkeiten der Person ebenso wie ihre Künstlichkeit. Leseprobe
Parallele Erzählstränge
Rachel Cusks brillanter Roman "Parade" legt, mehr noch als ihre früheren Texte, die unter den Gesteinsbrocken des Patriarchats verschüttete Realität weiblichen Erlebens frei. Gleichzeitig handelt er von der Auslöschung der Erzählerin. Der Roman ist in etwa das, was die Stuntfrau schreiben würde.
Im Buch werden die Biografien und Empfindungswelten unterschiedlicher Künstler überblendet. Dem Cis-Maler mit den Überkopf-Bildern stellt niemand die offensichtlichste Frage: Ob er seine Bilder nicht richtig herum gemalt und sie anschließend einfach umgedreht hat. Eine Künstlerin gibt ihr unangepasstes Leben auf, um mit einem rechthaberischen Anwalt eine Familie zu gründen. Eine andere macht Spinnenskulpturen wie Louise Bourgeois. In einer Ausstellung ihrer Werke stürzt sich ein Mann im Atrium des Museumsgebäudes in den Tod, während draußen eine Parade durch die Stadt zieht und die Straßen vermüllt.
Die Kunst ist das Bindeglied
Die ineinander verschränkten Geschichten sind bei Cusk keiner globalen Aussage unterworfen. Sie verständigen sich über grundlegende Fragen zur Kunst. Was kann der Blick eines einzelnen Menschen anderen offenbaren? Was zum Beispiel verrät das Bild einer im 19. Jahrhundert gemalten Kathedrale?
Was das Bild nicht zeigte, war den Glauben an das, was eine Kathedrale ist. Ich erinnere sie als einen schimmernden Haufen schwarzer Glut, aufgeladen mit innerer Hitze; sie schien eher der Natur zu gehören als den Menschen. Ich fragte mich, wie derselbe Künstler einen Berg gemalt hätte. Die Gerechtigkeit, mit der er die Kathedrale behandelte, war von einer seltenen Art und ähnelte der Liebe oder dem Mitleid. Einen Berg hätte er vielleicht nicht auf dieselbe Weise bemitleidet. Leseprobe
Unbequem und großartig
In der englischsprachigen Presse wird Rachel Cusk vorgeworfen, ihr Roman ignoriere echte menschliche Probleme, er sei zu künstlich. Man kann sich diese Reaktion nur damit erklären, wie gefangen der Blick auf intellektuell freizügige Texte von Frauen immer noch ist. Hochfrequentiert folgen bei Rachel Cusk geniale Bilder auf sich häutende Gedanken. Die Erzählerin führt ein geisterhaftes Dasein am Rande der Apokalypse.
Am darauffolgenden Morgen standen wir in unserem Hotelzimmer am Fenster und verfolgten die eigenartige Verwüstungsarbeit der Dämmerung, die unermüdlich neues Licht auf altes Scheitern warf. Leseprobe
Wo altes Scheitern droht, ist der alte weiße Mann nicht weit. Er lebt auf einer Insel und wird von seiner Frau gehasst. Er kommt aus Deutschland und heißt sogar "Mann". "Parade" handelt vom Kampf der Geschlechter, aber vor allem von der Möglichkeit auf Stunts zu verzichten. Was wir dann zu lesen bekämen, wäre aufrüttelnd, unbequem und großartig - genau wie dieser Text.
Parade
- Seitenzahl:
- 171 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Übesetzt von Eva Bonné
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43195-5
- Preis:
- 25 €