Schlagkräftige Stimme: Rita Bullwinkels Debüt "Schlaglicht"
Rita Bullwinkel gilt als eine der interessantesten Stimmen der jungen US-amerikanischen Gegenwartsliteratur. "Schlaglicht" ist der erste Roman der Herausgeberin des Literaturmagazins "McSweeney's".
Acht junge Frauen unter 19 Jahren treten in der US- amerikanischen Stadt Reno beim "Daughters of America Cup" gegeneinander an. Es ist die größte und wichtigste wettkampfstärkste Jugendmeisterschaft im Frauenboxen. Die jungen Boxerinnen können unterschiedlicher nicht sein. Doch sie eint nicht nur der Wille zu gewinnen. Zu Boxen bedeutet für sie Veränderung und Emanzipation durch körperliche Höchstleistungen.
Man kann für keine Sportart trainieren, wenn man nicht daran glaubt, dass man sein Schicksal selbst in der Hand hat. Sinn des Trainings ist, dass man durch das Trainieren den Verlauf seiner eigenen Zukunft beeinflusst. Leseprobe
Rita Bullwinkels Roman "Schlaglicht" ist wie ein Boxwettkampf aufgebaut. Die Leserinnen lernen Izzy, Iggy, Rachel, Rose, Kate, Artemis, Tanya und Andi während ihrer Duelle kennen. Bis am Ende nur noch zwei Athletinnen im Finale stehen. Dabei fungiert der Boxring wie ein intimer Raum, in dem nicht nur kampfbereite Körper aufeinandertreffen, sondern auch die jeweiligen Lebensgeschichten.
Kampf im Ring verdrängt Gedanken
Die jungen Frauen kämpfen auf eine gewisse Art und Weise gegen sich selbst. Artemis beispielsweise entstammt einer Boxerfamilie. Ihre Schwestern sind sehr erfolgreich im Ring. Artemis muss sich ständig beweisen und hat während des Kampfes gegen Andi die Erwartungshaltung ihrer Angehörigen im Kopf. Und auch Andi kann das Denken nicht abschalten:
Andi Taylor ballt ihre Hände und denkt dabei nicht an ihren Sommerjob als Bademeisterin im überfüllten Stadtbad, nicht an den Vierjährigen, den sie hat sterben sehen, den Vierjährigen, den sie quasi umgebracht hat. Man sollte Teenager keine Kinder retten lassen. Sie sieht zur Dachluke hinauf und sie denkt an die Fehler, die sie beim Kämpfen immer macht: ihre nachlässige Deckung. Sie denkt darüber nach, wie Artemis Victor sie kriegen wird. Leseprobe
Körperliche Stärke versus verletzliche Innenwelt
Rita Bullwinkels packendes Debüt lebt vom Kontrast zwischen der offensichtlichen körperlichen Stärke der Boxerinnen und ihrer verletzlichen Innenwelt. Rose stammt aus Dallas und wächst streng religiös auf. Boxen ist für sie eine Fluchtmöglichkeit. Tanyas Familientragödie wiederum spielt sich auf einem Orientteppich im Wohnzimmer ab und mündet im Verschwinden ihrer Mutter. Auch die anderen sechs Boxerinnen erleiden im Ring unangenehme Flashbacks und können wie Rachel ihre Gedankenwelt nicht beruhigen.
Rachel kann das Bild ihrer im Feuer schmelzenden Basketballshorts nicht ausradieren. Sie guckt zwar Kate Heffer an, sieht aber diesen Haufen von verkohlten Klamotten vor sich. Rachel erinnert sich daran, dass ihre Mutter sie ermahnte, ein braves Mädchen zu sein. Im Sinne von: Rachel, sei ein braves Mädchen und steig ein. Sie hatten losfahren müssen, um dem Feuer zu entkommen. Niemand will ein braves Mädchen sein, denkt Rachel.·Rachel will fantastisch sein. Sie will so boxen können wie ein Lauffeuer. Leseprobe
Schicksale exemplarisch für junge US-Amerikanerinnen
Die Erzählstimme in Rita Bullwinkels Roman kann auch in die Zukunft der Mädchen blicken, die alle das Boxen aufgeben werden. Der All-American-Dream endet in mehr oder minder tristen Lebensumständen, die sich millionenfach wiederholen und gleichen. Rita Bullwinkel erhebt die Schicksale ihrer Protagonistinnen zu etwas Exemplarischem. Die Autorin verwebt die Lebenslinien aller erdenklichen jungen Mädchen in den USA miteinander, deren Traum von Freiheit beim Abklatschspiel auf den Schulhöfen beginnt und im Boxring mit erhobenen Fäusten endet. Die ewige Wiederkehr ist in Rita Bullwinkels "Schlaglicht" kein Mythos mehr.
Schlaglicht
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Amerikanischen Englisch übersetzt von Christiane Neudecker.
- Verlag:
- Aufbau
- Bestellnummer:
- 978-3-351-04199-1
- Preis:
- 24,00 €