Buch-Cover: Karl Alfred Loeser - Requiem © Klett-Cotta

Karl Alfred Loesers Roman "Requiem": Großartige Neuentdeckung

Stand: 17.02.2023 06:00 Uhr

Noch immer gibt es Bücherschätze, die gehoben werden wollen - der großartige Roman "Requiem" von Karl Alfred Loeser ist einer von ihnen. Darin erzählt er die Geschichte des jüdischen Cellisten Erich Krakau.

von Anna Hartwich

Nach dem internationalen Erfolg von "Der Reisende" von Ulrich Boschwitz, das auch ins Brasilianische übersetzt worden war, meldete sich ein Mann namens Felipe Provenzale bei dem Herausgeber und Literaturscout Peter Graf. Er bot ihm ein Buch mit dem Titel "Der Fall Krakau" an. Der Autor: sein Großvater Karl Alfred Loeser, ein 1909 in Berlin geborener und 1934 mit seiner Frau Helene vor den Nazis ins brasilianische Exil geflohener Jude. Bis zu seinem Tod 1999 schrieb er unablässig, wurde aber nie veröffentlicht.

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Der Verleger Peter Graf © Sebastian Wells Foto: Sebastian Wells

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Ein jüdischer Musiker und die Gefahr von rechts

Die gute Nachricht vorweg: Nein, das Buch endet nicht mit der größtmöglichen Katastrophe. Sein Held, der renommierte Cellist Erich Krakau, bleibt am Leben. Bis in das Jahr 1934 hinein behält er seine Stelle im Orchester der kleinen westfälischen Stadt D. Das ist historisch nicht falsch. Nach der Machtergreifung 1933 gab es noch eine Zeit lang herausragende jüdische Musiker, die von einflussreichen Persönlichkeiten protegiert wurden, um ein Versinken ihrer Klangkörper in der Mittelmäßigkeit zu verhindern. Doch die Gefahr droht von rechts. Der junge Fritz Eberle, ein Stümper auf dem Cello, aber schon im Sturmtrupp, bewirbt sich im Orchester und kassiert eine Abfuhr.

"Sie haben keinen Platz?" - Eberle verstummte und machte sich an seinem Instrument zu schaffen; er war nicht erstaunt, nicht traurig, nicht enttäuscht, er war einfach wütend. Der da wagte es, ihn fortzuschicken, der Jude stellte sich vor ihn hin und spielte sich auf, als hätte er etwas zu sagen. War der, der sich da wie ein Herr gebärdete, am Ende nicht nur ein Geduldeter? Waren die Juden nicht alle nur geduldet? Leseprobe

Karl Alfred Loeser erzählt in 29 Kapiteln die Geschichte des jüdischen Cellisten Erich Krakau und seiner nichtjüdischen Frau Lisa. Sie werden als Menschen charakterisiert, die in ihrer Welt von Schönheit und Kunst, von Harmonie und Zivilisiertheit leben und so lange wie möglich verdrängen, dass man ihnen nach dem Leben trachtet.

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Thomas Sarbacher © picture-alliance/dpa Foto: Georg Wendt

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Unter dem Brennglas des aufkommenden Nationalsozialismus

Loesers Roman bietet ein Panoptikum der verschiedensten Menschtypen unter dem Brennglas des aufkommenden Nationalsozialismus: der junge Eberle als Nichtsnutz, der seine Chance wittert; der charakterlose Journalist Wendt, der für Geld alles tut; das Schenkmädchen Anna, das die Seiten wechselt; der alte Theaterdiener mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Aber auch die Aufrechten, Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg zumeist, die sich für den begnadeten Cellisten einsetzen, nachdem die Intrige gegen ihn in Gang gesetzt wurde. Der stellvertretende Gauleiter von Oertzen, auch er ein Veteran, bringt sich in Gefahr, als sein Gewissen zu laut wird:

Er hatte sich darum gekümmert, ob ein Jud schuldig oder unschuldig im Gefängnis saß. Ein Jud, nichts weiter als ein Jud, und er musste doch wissen, dass es für einen Juden kein schuldig oder unschuldig gab, dass er keine Rechte hatte, sondern nur geduldet war. Für einen Juden Sympathie zeigen, das genügte, um zu den Unzuverlässigen gezählt zu werden; und was tat man mit den Unzuverlässigen? Das Land war voll von Gerüchten, dass man sich zuweilen nicht damit begnügte, sie kaltzustellen, sondern sie noch in viel gründlicherer Weise unschädlich machte. Leseprobe

"Requiem": Ein Buch über Ideale

Karl Alfred Loeser beleuchtet den historischen Moment, als die Nazis noch nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen fest im Sattel sitzen und sich alle entscheiden müssen: sich mit wehen zu lassen vom "neuen Wind" und den Nazis damit weiteren Auftrieb zu verschaffen - oder sich ihm entgegenzustemmen. "Requiem" ist ein Buch über Ideale: Was sind sie noch wert, wenn die Zeiten sich ändern? Wo stehe ich, und wofür? Das Gewissen eines jeden ist die heimliche Hauptperson in diesem großartigen Roman.

Requiem

von Karl Alfred Loeser
Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Klett-Cotta
Veröffentlichungsdatum:
20. Februar 2023
Bestellnummer:
978-3-608-98684-6
Preis:
24 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 17.02.2023 | 12:40 Uhr

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