Der Verleger Peter Graf © Sebastian Wells Foto: Sebastian Wells
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AUDIO: Verleger Peter Graf sucht nach literarischen Schätzen (4 Min)

Verleger Peter Graf sucht nach literarischen Schätzen

Stand: 20.02.2023 16:21 Uhr

Peter Graf recherchiert nach bisher unveröffentlichten Texten, um sie heutigen Leserinnen und Lesern zugänglich zu machen. Nach dem Erfolgsroman "Der Reisende" hat er nun einen weiteren Schatz gehoben.

Herr Graf, gerade ist das Buch "Requiem" von Karl Alfred Loeser zum ersten Mal auf Deutsch erschienen. Was ist das für ein Gefühl, wenn solch ein Text, der jahrzehntelang in der Schublade vor sich hin schlummerte, tatsächlich erscheint - und Sie haben daran mitgewirkt?

Peter Graf: Das ist bei dieser Art von Büchern immer ein ganz besonderes Gefühl, weil es nicht nur um einen Text geht, der wiederentdeckt wird. Sondern in diesem Fall geht es um einen Autor, der vor 80 Jahren geschrieben und nie veröffentlicht hat und jetzt möglicherweise bekannt wird mit seinem Werk. In dem Fall ist es so, dass auch die Familie noch da ist. Ich habe Kontakt zu dem Urenkel von Karl Alfred Loeser und über ihn zu den Kindern von Karl Alfred Löser. Für die Familie ist es natürlich auch sehr besonders, dass nach so vielen Jahrzehnten jetzt der Roman "Requiem" auf Deutsch erscheinen wird.

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Er hat ja eigentlich als Bankangestellter in Brasilien gearbeitet - geschrieben hat er im Geheimen. Wollte er überhaupt, dass seine Texte veröffentlicht werden?

Graf: Ja, das wollte er. Er wollte es nicht sofort, weil zu der Zeit, als er in Brasilien ankam, es dort eine Diktatur gab, die ein wenig zu vergleichen ist mit der Diktatur in Spanien unter Franco. Es gab eine Sympathie für den Nationalsozialismus, und er hatte Angst, zu publizieren und seine jüdische Herkunft damit sichtbar zu machen. Aber es gibt einen Briefwechsel aus den späten 50er-Jahren, wo er probierte, Kontakt zu deutschen Verlagen herzustellen, damit dieser Roman erscheinen kann. Aber es ist nie zu einer Veröffentlichung gekommen.

Wann haben Sie zum ersten Mal von diesem Text gehört?

Graf: Das ist gar nicht so lange her, vor vielleicht zweieinhalb Jahren. Ich habe ein anderes Buch verlegt, das sehr erfolgreich geworden ist: "Der Reisende" von Ulrich Alexander Boschwitz, auch ein jüdischer Autor, der fliehen musste und sehr jung ums Leben gekommen ist. Als die englischsprachige Ausgabe dieses Romans "Der Reisende" erschien, habe ich relativ viele Interviewanfragen gehabt. Der Urenkel von Karl Alfred Loeser hat ein BBC-Interview von mir gehört, hat daraufhin den Kontakt zu mir aufgenommen und mir dann von seinem Urgroßvater und seinem Schreiben erzählt.

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Weshalb sollten Leserinnen und Leser zu dem Buch "Requiem" von Karl Alfred Loeser greifen?

Graf: Es ist ein Text, der, bevor die Vernichtung der Juden in Europa einsetzte, die Situation in einer mittelgroßen deutschen Stadt beschreibt, wie die Kleinbürger Juden-Hatz betreiben. Es ist eine sehr anschauliche Darstellung von dem, wie diese Verfolgung stattgefunden hat. Es macht auch sehr deutlich, welche Rolle die Figuren in diesem Roman für sich selbst sehen. Die Hauptfigur, der Solocellist Krakau zum Beispiel, fühlt sich der deutschen Kultur sehr verbunden. Er kann überhaupt nicht verstehen, dass es auf einmal eine bestimmte Gruppe innerhalb der deutschen Bevölkerung gibt, die ihn ausschließen will. Es dauert sehr lange, fast zu lange, bis er erkennt, dass er in großer Gefahr ist. Das ist, glaube ich, eine sehr authentische Beschreibung dessen, was passiert ist, und das sich hier in sehr anschaulicher Weise und in sehr interessantem Ton nachvollziehen lässt.

Recherchieren Sie auch aktiv nach nicht-veröffentlichten Manuskripten? Oder sind Sie mittlerweile so bekannt, dass Sie laufend so etwas zugeschickt bekommen?

Graf: Ich recherchiere sehr intensiv in Archiven. Ich probiere, mich durch Besprechungen aus den 20er-, 30er-Jahren zu lesen. Ich lese Verleger-Biografien und Dissertationen. Es gibt ganz viele Quellen, aus denen ich probiere, Hinweise zu bekommen auf Autoren, die mir bis dahin nicht bekannt waren, auf unveröffentlichte Manuskripte, die interessant sein könnten.

Das Interview führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 20.02.2023 | 16:30 Uhr

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