"Das Ende der Unsterblichkeit": Fotoband über eine junge Vaterschaft
Das erste Jahr als Kind, das erste Jahr als Vater: Der Fotograf Mario Wezel hält in seinem Foto-Kunst-Buch "Das Ende der Unsterblichkeit" die frischen Erlebnisse mit seinem Neugeborenen fest - ein liebevoller, unverstellter Blick in Bildern und Tagebucheintragungen.
Samen von Pusteblumen im Wind, wie Schneeflocken oder helle, fluoreszierende Fallschirmchen zeichnen sie sich vor schwarzem Himmel ab. Eine Zimmerpflanze schmiegt sich von hinten an einen hellen Vorhang - versucht die Trennung von außen und innen zu durchbrechen. Eine chaotisch vollgekritzelte Backsteinwand. Eine Bluejeans und ein passend blaues Shirt: Unter dem Ausschnitt zeichnet sich ein großer nasser Fleck ab. "Es kann entweder Spucke gewesen sein oder auch Urin", sagt Mario Wezel über sein Foto. "Auf jeden Fall Körperflüssigkeiten des Kindes."
Ehrliche, ungeschönte Impressionen des neuen Familienalltags
Mario Wezel ist an einem Novembertag vor sieben Jahren zum ersten Mal Vater geworden. In sein Tagebuch notiert er:
Dienstag, 21.11.2017:
Ich stehe am Fenster, mit dir auf meinem Arm, und schaue auf die Straße. Draußen hat sich nichts verändert, hier drinnen ist alles anders.
Tagebucheintrag
Die Bilder, die Mario im ersten Jahr seiner Tochter knipst, zeigen den unverstellten Blick auf das, was ist: die eigenen vier Wände, das Alltägliche. Orangefarbenes Licht, das aus dem Flur durch die Türritze scheint, während im Schlafzimmer Dunkelheit herrscht. Windeln an der Wäscheleine. Zwei Luftballons, eine 30 formend, pink und glitzernd. Sie kleben an der Zimmerdecke und doch scheint es, als wäre die Luft raus, der Glamour nur vorgetäuscht.
"Für mich war dieser Übergang und dieser neue Lebensabschnitt auch geprägt von Unsicherheit und Chaos, von ganz vielen kurzen Nächten und natürlich auch von ganz vielen schönen Dingen", erinnert sich Mario Wezel. "Aber deswegen hatte ich für mich nie das Gefühl, ich will jetzt davon unbedingt nur die schönen Seiten zeigen."
Geburt eines Kindes - Veränderung für die ganze Familie
Fotografien und Tagebuchpassagen greifen wunderbar ineinander, umwickeln das Buch mit einer Aura, die von Wucht und Wundersamkeit durchtränkt ist.
Mittwoch, 7.2.2018:
Du liegst auf meinen Oberschenkeln und musterst mich mit deinem Blick. Wenn du mich so anschaust, fühle ich mich besonders. Ich frage mich, ob es das ist, was Eltern später so traurig macht: dass sie nie wieder so angeschaut werden - nicht von ihren Kindern und auch sonst von niemandem.
Tagebucheintrag
"Das Ende der Unsterblichkeit" - der Titel des Bildbands macht deutlich: Wenn ein Kind geboren wird, rücken alle Beteiligten - Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel - ein Feld weiter, im Spiel des Lebens. Mario wurde bewusst, dass "dieses Gefühl, was man in den Zwanzigern hatte, 'wir sind alle jung, und wir sind irgendwo unsterblich, und wir können alles irgendwo schaffen', dass das mit dieser Geburt und mit dem Eintritt ins Elternsein auf einmal ein sehr abruptes Ende genommen hat."
Vaterschaft in der Kunst
Seine neue Rolle, die seiner Partnerin, die der eigenen Eltern, hat Mario Wezel durch die Linse erkundet. Da gibt es dieses Bild von den beiden Matratzen. Die sich berühren, auf der Linie, drauf oder dazwischen, wie man's nimmt, liegt ein Schnuller. Oder die Fotografie der Mutter vor einem Goldflieder in voller Blüte, als würde der Frühling aus ihr herauswachsen. Der Vater dagegen scheint mit seinem roten Pullover im roten Sofa zu verschwinden. Augen zu. Es sind Bilder, die der Hannoveraner vor der Geburt der Tochter so nicht gemacht hätte: "Als Künstler Vater zu werden, das kann eine total große Chance sein. Ich habe das aber auch erstmal annehmen müssen, weil es keine Selbstverständlichkeit ist, auch nicht 2024, dass man als Mann eine aktive Vaterrolle einnimmt und annimmt."
Vater zu werden habe ihn aufgewühlt, erzählt Mario. Wühlt es andere Väter auch auf? Kann der eigene Blick, eine so persönliche Arbeit, überhaupt universell gelesen werden, stellvertretend für andere junge Väter stehen? Und überhaupt: Warum wird Vaterschaft in der Kunst so gut wie gar nicht verhandelt, wo doch die Kunst sich gern an Existenziellem abarbeitet? Wo Mutterschaft ein geradezu klassisches Sujet ist?
"Das hat mich verwundert, dass der Exzess Teil der Kunst sein kann. Dass gesellschaftliche Strukturen und Normen Teil der Kunst sein können, aber die Elternschaft es doch sehr selten ist, obwohl sie eigentlich all das beinhaltet", sagt Mario Wezel. Mit "Das Ende der Unsterblichkeit" wagt er den Schritt aus dem Privaten hinaus in die Öffentlichkeit. Mit unverstelltem, fast nüchternem und doch liebevollem Blick macht er einen Raum für Väter auf, die präsent sein wollen. Mit allem, was dazugehört.
Das Ende der Unsterblichkeit - The End of Immortality
- Seitenzahl:
- 122 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Fotohof Edition
- Bestellnummer:
- 978-3-903334-67-0
- Preis:
- 38 €