Cover von "Eye Mama" von Karni Arieli © teNeues

"Eye Mama": Alltagsfotografien aus der Perspektive von Müttern

Stand: 13.08.2023 10:47 Uhr

Welche Fotos schaffen es ins Familienalbum und welche auf die Geburtskarte fürs Baby? Die Fotografien im Bildband "Eye Mama. Poetic Truth of home and motherhood" von Karni Arieli gehören wahrscheinlich nicht dazu.

von Lenore Lötsch

Ein Neugeborenes eingewickelt in eine weiße Decke, auf dem kahlen Kopf einen weißen Haarreifen mit rosa Schleife, die Mutter schmiegt sich an das Baby. Sie ist perfekt frisiert, trägt ein weißes Spitzenkleid und passende Perlenohrringe: Muttersein sieht heute oft so aus auf den Profilfotos von Instagram und Co.

Aber nicht im Bildband "Eye Mama": intim und aufrichtig sind diese Fotos. Eine Frau auf einem zerwühlten Laken. In ihrem Rücken eine Matratze, fleckig und bekritzelt. Sie sitzt ganz ruhig da im gestreiften T-Shirt, mit nackten verschränkten Beinen, während ihr Kind auf ihre Schultern klettert und ihr ins Gesicht greift, um sich festzuhalten. "Sieh mich nicht an!" heißt dieses Foto der polnischen Fotografin Karolina Cwik.

Bildband "Eye Mama" zeigt die Realität des Mutterseins

Die neugeborenen Babies werden hier nicht in kitschige Kürbiskostüme gesteckt oder bekommen Mützchen in Pastell auf den Kopf: Sie liegen nackt in den Armen ihrer Mütter. Bei der einen sieht man die Kaiserschnittnarbe und kann den Blick nicht abwenden von den 14 Klammern, die jetzt das zusammenhalten, was gerade doch noch intakt war. Eine andere hält ihr Baby im Arm und trägt - wie eine stolze Kriegerin - die Mutterrüstung aus dem Krankenhaus: schwarze Stützstrümpfe und den Einwegschlüpfer mit Einlage. Warum man das zeigen muss? Weil diese ersten Tage in Kranken- und Geburtshäusern genau so aussehen, normalerweise aber von bunten Bademänteln bedeckt werden.

"Bevor die Kinder da waren, hatte ich mich unverwundbar gefühlt und mir alles zugetraut. Dann bekam ich Kinder... Ich fühlte mich völlig machtlos, so, als habe man mir meine Identität genommen. Ich wusste nicht mehr, wer ich eigentlich bin. Aber niemand erzählt diese Geschichten. Ich habe außerdem erkannt, dass man nicht zum Glück findet, indem man glückliche Fotos teilt. Das ist nicht der richtige Weg. Wir fühlen uns glücklich, wenn wir ehrliche Bilder teilen, wenn wir über unsere wahren Gefühle sprechen." Karni Arieli in "Eye Mama"

 

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Eine Frau sitzt auf der Toilette und hat ein Baby auf dem Schoß; Bild von Iris Muñoz aus: "Eye Mama", teNeues Verlag © Iris Muñoz

Eindrücke aus dem Bildband: "Eye Mama"

Welche Fotos schaffen es auf die Geburtskarte fürs Baby? Die Fotografien in dem Bildband von Karni Arieli gehören wahrscheinlich nicht dazu. Bildergalerie

Fotografien aus der Perspektive von Müttern

Das "Eye Mama"-Projekt startete die Fotografin in der Coronazeit. Sie fotografierte sich und ihre Familie zu Hause und stellte fest, dass viele andere Fotokünstlerinnen und Künstler, denen sie in den sozialen Medien folgte, dasselbe taten. Im April 2021, nach einem Jahr der Planung, hat Karni Arieli das Projekt auf Instagram ins Leben gerufen. Die Fotos, die seitdem dort geteilt werden, erzählen von Fürsorge und Überforderung, von Einsamkeit und dem kleinen Glück im größten Chaos. Von dieser Zeit, in der die eigene Wohnung die Welt ist und man sich nicht vorstellen kann, dass es da ein Draußen gibt.

Alle Fotografien eint eine Perspektive. Mütter fotografieren sich und ihren Alltag: Brüste, die von Kinderfüßen gequetscht werden, suchende Hände von Babies, die gerade gestillt werden, Milchtropfen an Brustwarzen, ein Bauch, der gerade vom Kind mit Stickern beklebt wurde, ein Wirbel auf dem Hinterkopf eines Kindes. Plötzlich hat man das Gefühl, die Szenen sogar zu riechen.

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Einblicke in den Alltag: Von banal bis schmerzhaft

Dann quietschen, weinen, klettern, träumen, knutschen, knuddeln und springen die Kinder durch ihr Zuhause, stecken sich Luftballons in ihre Schlafanzüge und spielen Mamawerden, schauen verängstigt auf das gerade geborene Geschwisterkind, lassen den Maulbeersaft über ihr Kinn tropfen, besteigen mit der Schlafanzughose des Vaters, die bis über die Schultern reicht, den knallroten Gummiesel, sind Sancho Panza und Don Quijote. Jedes Foto ist eine Welt mit einer Alltagsgeschichte. Manchmal sind sie banal, manchmal tiefgründig und manchmal sehr schmerzhaft: wie die leeren Blicke der Teenager aus der Pandemiezeit.

"In den ersten Jahren mit Kind fühlt man sich, als stünde man im Wald oder im Wind, man senkt den Kopf, um sich zu schützen. In diesem Überlebensmodus hat man keine Zeit für irgendetwas, nicht einmal fürs Dokumentieren", schreibt Karni Arieli. Mit "Eye Mama" hat sie gemeinsam mit Künstlerinnen aus aller Welt diese Türen des Zuhauses aufgestoßen. Die Frauen lassen alle Hüllen fallen, drücken auf den Selbstauslöser, damit wir vielleicht weniger mit uns selbst fremdeln. Man möchte dieses Buch jeder Happy-Family-Influencerin zur Pflichtlektüre empfehlen.

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Eye Mama

von Karni Arieli
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
circa 150 Farb- & Schwarz-Weiß-Fotografien
Verlag:
teNeues Verlag
Veröffentlichungsdatum:
21. April 2023
Bestellnummer:
978-3-96171-460-5
Preis:
50 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 13.08.2023 | 16:20 Uhr

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