Walser: "Das Umstrittene gehörte zu seinem Erscheinungsbild"
Er war einer der herausragenden, aber auch umstrittensten Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Martin Walser. Am Freitag starb er im Alter von 96 Jahren. Ein Gespräch mit Joachim Dicks aus der NDR Literaturredaktion.
Was macht den Jahrhundert-Schriftsteller Martin Walser aus? Worin liegt seine Bedeutung?
Er war 18 Jahre alt, als der Krieg zu Ende war, hat also in seinen Kinder- und Jugendjahren den Nationalsozialismus miterlebt. Und das hat ihn mit dieser Sensibilität ausgestattet: dass Literatur für ihn von Anfang an immer auch mit gesellschaftlichem Engagement verbunden war. Deshalb gehört Walser zu den ganz wesentlichen Chronisten der (west-)deutschen Nachkriegszeit.
Seine Helden sind immer Antihelden. Man kann in dieser Welt nicht mehr in diesem altem Sinne heroisch auftreten, sondern alle Bemühungen, alle Bestrebungen sind immer wieder an Grenzen und an Enttäuschungen gebunden.
Walser hat sich immer auch politisch engagiert: Er war massiv gegen den Vietnamkrieg, hat Willy Brandt im Wahlkampf unterstützt. Als dieser sich dann aber in eine Richtung entwickelte, die Walser nicht mehr ganz teilte, hat er sich vorübergehend der DKP angeschlossen. Und als die Wiedervereinigung kam, galt Walser in manchen Feuilletons auf einmal als Nationalist.
Er hat wirklich viele unterschiedliche Rollen zugewiesen bekommen - auch von der Öffentlichkeit. Und dieses Umstrittene gehörte dann auch mit zu seinem Erscheinungsbild.
Das Umstrittene gehört zu seinem Erscheinungsbild, zum Beispiel nach seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche, bei der Entgegennahme des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998, oder eben auch nach der Veröffentlichung seines Romans "Tod eines Kritikers". Da wurde ihm Antisemitismus vorgeworfen. Was hatte es damit auf sich?
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hatte seinen Roman "Jenseits der Liebe" heftig kritisiert, hatte dabei die Formulierung "Jenseits der Literatur" gewählt. Davon hat sich Martin Walser wirklich sehr, sehr angegriffen gefühlt. Zurecht. Und mit dieser Atmosphäre ist er dann in der Frankfurter Paulskirche bei der Entgegennahme des Friedenspreises - ausgerechnet des Friedenspreises - mit einer Rede angetreten, wo er eigentlich hätte erahnen können, dass er da auch scharfe Kritik entgegenzunehmen hat. In dieser Rede wird deutlich, in welchem rhetorischen Gewässer sich Martin Walser gerne aufgehalten hat:
"Weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere, wenn ich sage, Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets." (Martin Walser 1998 in der Frankfurter Paulskirche)
Ich war zunächst damals auch ein massiver Kritiker dieser Rede, habe ihm aber nach und nach zugestanden: Auf einer inhaltlichen Ebene hat er etwas angesprochen, was ich sehr gut nachvollziehen kann; Wir nachkommenden Generationen haben die Aufgabe, uns die Geschichte der Zeitzeugen des Holocausts immer wieder bewusst zu machen. Aber wie lässt es sich vermeiden, das zu ritualisieren und es damit eben zu marginalisieren? Darauf wollte Walser, glaube ich, damals auch schon hinweisen.
Heftig wurde es dann aber, als er 2002 seine Fehde mit Marcel Reich-Ranicki hatte. Der konnte richtig derb und heftig in seiner Kritik sein. Walser musste da sehr viel einstecken. Mit "Tod eines Kritikers" hatte er schließlich einen Roman geschrieben, wo er ganz direkt auf Marcel Reich-Ranicki eingeht, auch wenn Reich-Ranickis Name nicht genannt wird.
Marcel Reich Ranicki als jüdischer Literaturkritiker - es war relativ klar, dass Walser damit Probleme bekommen könnte. Walser hatte sich anschließend vom Suhrkamp-Verlag, seinem Traditionsverlag, verabschiedet, und ist zu Rowohlt gewechselt. Das waren so Debatten damals im Feuilleton, die klargemacht haben: In dieser Generation werden die Dinge noch einmal viel schärfer verhandelt als wir es heute gewohnt sind.
Martin Walser ist vielen ein Begriff, aber nicht jeder hat unbedingt etwas von ihm gelesen, obwohl er so viele Bücher geschrieben hat. Welche davon sollte man denn unbedingt gelesen haben?
Naja, ich würde vor allem drei nennen, die vielleicht auch einen ganz guten Querschnitt durch die Jahrzehnte bilden. Angefangen mit dem Debütroman "Ehen in Philippsburg" (1957). Darin wird das Wirtschaftswunder in Westdeutschland sehr, sehr eindringlich in Liebesverstrickungen beschrieben.
Dann die Novelle "Ein fliehendes Pferd" (1978). Das ist der größte Erfolg, den er hatte. Ein Millionenpublikum hat das Buch käuflich erworben. Dadurch war er endlich materiell so unabhängig, dass er sich ausschließlich dem Schreiben zuwenden konnte.
Und dann noch mal ein kleiner Zeitsprung nach 2008: "Ein liebender Mann" ist ein Goethe-Roman. Darin kommt auch noch einmal diese sanfte Ironie zum Vorschein, wie sich Martin Walser, selbst schon in einem stattlichen Alter, mit dem alten Goethe in eine literarische Verbindung bringt. Ich glaube, mit diesen drei Büchern ist man ganz gut ausgestattet, um so einen Eindruck zu bekommen, was Walsesr alles gekonnt hat und uns hinterlässt.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.