"Tschick": Zehnter Todestag von Autor Wolfgang Herrndorf
Vor zehn Jahren ist der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf gestorben - vielen bekannt durch seinen erfolgreichen Jugendroman "Tschick", aber auch durch sein kurzes Leben aufgrund einer schweren Krankheit.
So passt es auch, dass gerade eine Biografie über Wolfgang Herrndorf erschienen ist - unter dem Titel "Herrndorf". Geschrieben hat sie der Journalist Tobias Rüther. Ein Gespräch über seine Recherche und Zusammenarbeit mit der Familie Herrndorf, über journalistische Distanz, über die Faszination am Jugendbuchklassiker "Tschick", über die Bücher und die Malerei von Wolfgang Herrndorf und warum er Tobias Rüther bei der Recherche "ein bisschen wahnsinnig gemacht hatte" - weil "er so ein widersprüchlicher Charakter war".
Herr Rüther, Wolfgang Herrndorf hat testamentarisch verfügt, "niemals Germanisten ranzulassen", und Journalisten "mit der Waffe in der Hand" zu verjagen. Warum haben Sie sich trotzdem getraut, eine Herrndorf-Biografie zu schreiben?
Tobias Rüther: Ich habe mich getraut es zu tun, weil mir Wolfgang Herrndorf wirklich so viel bedeutet. Als die Witwe Carola Wimmer und die Eltern Herrndorf mich gefragt haben, weil sie sich eine Biografie gewünscht haben und mir dafür den Nachlass öffnen wollten, habe ich direkt "ja" gesagt. Weil das einerseits ein wahnsinniger Vertrauensbeweis war und ich andererseits dachte: "Wie schön, die Geschichte dieses fantastischen Schriftstellers zu erzählen, der so früh sterben musste." Da habe ich sofort gedacht: Das muss ich machen!
Wenn er Ihnen so viel bedeutet: Wie schwer ist es gewesen, journalistische Distanz zu halten? Oder braucht man die in diesem Fall nicht?
Rüther: Die journalistische Distanz ergab sich fast automatisch: Dadurch, dass ich ihn nicht persönlich kannte. Wir hatten gemeinsame Freunde. Ich gehörte am Anfang zu dem Kreis der Personen in seinem Internet-Forum, die ihn bei seiner Arbeit und auch beim Sterben begleitet hatten. Ich kannte also einerseits die Welt, in der er in Berlin unterwegs war, bin ihm aber nie persönlich begegnet.
Als ich dann angefangen habe, diese schwierige Geschichte zu erzählen, war es hilfreich, einerseits sehr traurig und betroffen zu sein von diesem Schicksal, aber gleichzeitig gab es den Abstand. Das hat eine gewisse Freiheit beim Schreiben gewährleistet, die ich auch brauchte.
Wie haben Sie für dieses Buch recherchiert?
Rüther: Die Recherche war zweiteilig. Mir war von Anfang an klar, dass ich mit möglichst vielen Leuten um ihn herum reden muss. Ich habe dort begonnen, wo er aufgewachsen ist: Ich habe mit seinen Eltern und mit Carola Wimmer, der Witwe, intensiv gesprochen, und mich erstmal persönlich über diese Gespräche angenähert. Ich bin auch in Nürnberg gewesen, wo er Kunst studiert hat, und habe mir die Orte angeschaut - eine ganz klassische journalistische Recherche.
Dann war da aber auch dieser Zugang zum Nachlass, den mir Carola Wimmer gegeben hat, beispielsweise zu den ganzen Vorarbeiten zu "Tschick". Es war unglaublich, so tief in seine Arbeitsweisen einsteigen zu können. Es war also einerseits viel Gespräch, viel Zuhören, viele Fragen stellen, und andererseits sich in diesen Berg von Papier, den er hinterlassen hat, hinein zu arbeiten und zu versuchen, mit interessanten Antworten auf die Fragen herauszukommen.
Haben Sie ihn auch als Mensch intensiver kennengelernt? Wie war er?
Rüther: Er hat mich zwischendurch auch ein bisschen wahnsinnig gemacht, weil er so ein widersprüchlicher Charakter war. Man sagt das immer so leichtfertig, dass Widersprüche interessant machen, aber im Fall von Wolfgang Herrndorf ist es so, dass er Zeit seines Lebens gehadert hat mit der Frage, wie gut er eigentlich in dem ist, was er tut. Nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Malen.
Damit fing es im Grunde an: Er hat Malerei studiert und das abgebrochen, weil er dachte, dass er das nicht kann. Doch alle, mit denen ich gesprochen habe, mich eingeschlossen, sind Bewunderer und Bewunderinnen dieser unglaublichen Kunst von ihm. Aber er hat es nie geglaubt. Er hat auch nicht wirklich geglaubt, dass die Sätze, die er fertig geschrieben hat, wirklich zu Ende sind, sondern hat immer wieder neu angesetzt. Diesem ewigen Zweifeln, diesem Hadern auf die Spur zu kommen, worin das Problem stecken könnte, darauf habe ich versucht, Antworten zu finden. Aber die sind wahrscheinlich nur vorläufig, weil das auch das Rätsel ist, das da geblieben ist.
Glauben Sie, dass diese tragische Geschichte, dieses schnelle, frühe Ende auch dazu beiträgt, dass seine Geschichten so viele Menschen berühren und bewegen?
Rüther: Das ist eine der Fragen, die ich mir die ganze Zeit bei "Tschick" gestellt habe und versucht habe, mich einer Antwort zu nähern. In dem Fall ist es ganz schwierig: Wenden sich die Leute mit Interesse Wolfgang Herrndorf zu, weil sie von diesem Schicksal gehört haben und neugierig sind darauf, was er geschrieben hat? Oder lesen Sie "Tschick" und erfahren dann, wer der Autor ist? Es gibt für beides unendlich viele Beispiele. "Tschick" ist auf dem Weg zur Vier-Millionen-Grenze verkaufter Exemplare. Aber wenn dieser Text nicht so wäre, wie er ist, dann wäre Wolfgang Herrndorf nicht sofort zum Klassiker geworden.
Das Interview führte Julia Westlake.