Auf einer nebligen Bühne steht rechts vorne ein Mensch mit einer Kopfbedeckung, die aussieht wie eine Baumkrone, die zu zwei Hörnern geformt wurde. © Armin Smailovic Foto: Armin Smailovic

Start der Hamburger Lessingtage - zum letzten Mal unter Joachim Lux

Stand: 15.01.2025 12:03 Uhr

Heute starten die Hamburger Lessingtage. Es sind die letzten in dieser Form unter Joachim Lux als Intendant am Hamburger Thalia Theater. Im Interview spricht er über seinen Abschied und stellt das Programm vor.

Auf einer nebligen Bühne steht rechts vorne ein Mensch mit einer Kopfbedeckung, die aussieht wie eine Baumkrone, die zu zwei Hörnern geformt wurde. © Armin Smailovic Foto: Armin Smailovic
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Selten war die Welt verwirrender und verstörender. Das Thalia Theater möchte mit dem Programm "Fantasies of another life" von dem zu erzählen, was die Menschen in ihrem Kern trotz aller Not, Verzweiflung oder Unzufriedenheit umtreibt, alternative Wirklichkeiten zu imaginieren.

Die Uraufführung von Christopher Rüpings "Ajax und der Schwan der Scham" nach Sophokles eröffnet die Lessingtage. Das Stück spürt dem nahezu in Vergessenheit geratenen griechischen Helden Ajax nach, der immer nur der Zweitbeste, der Zweitstärkste war und im Schatten von Achill stand. Es sind Kränkungen, die er nicht erträgt. Ajax läuft Amok. Doch nach der Raserei kommt die Scham. Es geht also um Ehrgeiz und Hybris, um Demütigung und Scham und die Frage, wer das alles zu verantworten hat.

Herr Lux, wie starten Sie in dieses Festival? Sind Sie sehr wehmütig oder eher sehr aufgeregt?

Joachim Lux: Es ist ein Ende, und Ende ist immer auch Aufbruch. Und das ist das eigentliche Thema der Lessingtage, die wir mit "Fantasies of Another Life" gelabelt haben. Wir haben die Begabung, uns ein anderes Leben vorzustellen als das, was wir leben. Das ist ein grundsätzliches Thema. Einerseits sagen wir, es soll bitte alles so bleiben, wie es ist, und auf der anderen Seite sagen wir immer, es ist alles so schrecklich, lasst uns mal gucken, dass alles anders wird. Das ist ein Paradox, und wir versuchen, einen Aufbruch zu signalisieren.

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Wie sind Sie darauf gekommen, es ausgerechnet "Fantasies of another life" zu nennen?

Lux: Wir sind in einer gesellschaftlichen Situationen, in der wir alle wissen, dass es so, wie wir leben, nicht mehr weitergeht. Wir haben eine Eröffnungsveranstaltung mit der Meeresbiologin Antje Boetius, die auf 5.000 Meter Tiefe taucht, wo sie nur die katastrophalen Überbleibsel unserer Zivilisation findet. Sie taucht aber wieder auf und sagt: Wenn wir uns anstrengen, können wir es schaffen. Das heißt: Die Lage ist schlecht, aber lasst uns trotzdem optimistisch bleiben. Das ist die Botschaft, und die setzt sich fort in verschiedenen Inszenierungen - aus Benelux, aus China, vom Burgtheater und aus England.

Auf dem Programm steht auch "Die Wanze" - das ist schon die sechste Produktion aus China bei den Lessingtagen. Warum, meinen Sie, lohnt sich dieser Blick auf das dortige Theater immer wieder? China assoziieren wir ja nicht unbedingt mit Freiheit.

Lux: Politisch ist es mittlerweile problematisch. Aber ich weiß gar nicht mehr, wo es politisch nicht problematisch ist. Dahinter steckt die Idee, wenn es politisch nicht funktioniert, dass der Kulturaustausch Brücken bauen kann. Das war immer die Philosophie - bis auf eine Ausnahme: Wir haben in der Vergangenheit sehr viel mit Russland gearbeitet, mit Moskau und Petersburg, aber da haben wir die Zusammenarbeit wegen des Überfalls auf die Ukraine eingestellt.

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Das Festival endet mit der Inszenierung: "How goes the world?" (Wie geht die Welt?) Wie geht sie denn nun, wenn die Lessingtage in dieser Form zu Ende gehen?

Lux: Die Lessingtage haben ja im Grunde zwei Ansätze: Der eine ist zu sagen: Lasst uns versuchen, einander zuzuhören. Klassisch hat man das in der Aufklärung Toleranz genannt, also den anderen in seiner Andersartigkeit zu respektieren. Das ist der Kern und der teilt sich auf Kulturen, auf Religionen, auf die Unterschiede, die wir haben. Das ist der ethische, aber auch der ästhetische Ansatz. Wenn wir bei China bleiben, ist es interessant zu sehen, wie eine andere Kultur auf die Welt blickt. Das übrigens auch noch mit einem russischen Text und mit einer frühen futuristischen Zeitreise, wo jemand eingefroren wird und 80 Jahre später in einer völlig verwandelten Welt aufwacht, dieser letzte Mensch von früher und eine Wanze - daher der Titel. Das ist ein überbordendes Theaterspektakel, großartig.

Das Gespräch führte Keno Bergholz.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 15.01.2025 | 09:20 Uhr

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