Salman Rushdie scheint nach Attentat wieder der Alte zu sein
Salman Rushdie ist zurück. Der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels hat beim internationalen Literaturfestival in Berlin seinen neuen Roman "Victory City" vorgestellt. Es war der erste Auftritt in der deutschen Öffentlichkeit seit dem Attentat auf Rushdie im vergangenen Jahr. Er wurde live aus den USA zugeschaltet zu einem Gespräch mit Daniel Kehlmann und seinem deutschen Übersetzer Bernhard Robben.
Daniel Kehlmann begrüßt seinen Freund Salman Rushdie. Er und der Übersetzer Bernhard Robben sitzen auf Klappstühlen auf der Bühne und können Rushdie gar nicht sehen. Er ist per Zoom zugeschaltet und die Leinwand zum Publikum gerichtet
"Wir werden gleich über Dein Buch sprechen, aber da ist eine Frage, die sich hier alle stellen: Wie geht es Dir?", fragt Kehlmann. "Mir geht es ganz gut", antwortet Rushdie. "Als wir uns das letzte Mal in New York gesehen haben, war ich auch dem Weg der Besserung. Jetzt bin ich ok - mit der Ausnahme meines Auges. Der Rest ist - ich kann jetzt nicht sagen, wieder normal -, aber es funktioniert."
Rushdie zeigt sich seit dem Messerangriff äußerst selten
Rushdie trägt ein verdunkeltes Brillenglas über dem rechten Auge. Er ist dünner geworden, sonst wirkt er eigentlich wie immer - mit dem markanten Bart um den Mund und der Halbglatze. Der 76-jährige Rushdie zeigt sich seit dem Messerangriff äußerst selten. Es grenzt an ein Wunder, dass er die 15 Stiche überlebt hat. Kehlmann erzählt, dass selbst die Ärzte nicht daran geglaubt haben.
Mit "Victory City" kehrt Rushdie in sein Geburtsland zurück
Im ausverkauften Berliner Ensemble spürt man die Sensation, Rushdie sehen zu dürfen. Ein wenig ungläubig starren alle auf die grobkörnige Leinwand. Rushdie wirkt entspannt, lächelt. Kehlmann und Robben stellen ihm abwechselnd Fragen zu seinem neuesten Buch "Victory City", ein historisches, wort- und bildreiches Märchen, eine matriarchale Utopie, die vom Aufstieg und Fall einer wundersamen Stadt im 14. Jahrhundert erzählt. Damit kehrt Rushdie in das Land seiner Geburt, Indien, zurück.
Rushdie: "Habe versucht, einen neuen Mythos zu schreiben"
"Ich habe etwas Mysteriöses getan. Ich habe versucht, einen neuen Mythos zu schreiben", sagt Rushdie. "Wenn Sie so wollen, habe ich ein bisschen damit gespielt, Homer zu sein." Das Buch "Victory City" endet mit dem Satz: "Worte sind die einzigen Sieger." Und auch wenn Schriftsteller keine Armee hätten, keine Macht, so sagt Rushdie, sie hätten das letzte Wort. "Könige und Königinnen sterben. Sie werden nur erinnert durch die Geschichten, die über sie erzählt werden. In dem Fall lacht der Geschichtenerzähler als Letzter. Wenn wir zum Beispiel an Napoleon Bonapartes Russlandfeldzug denken, denken wir an Krieg und Frieden. Gewissermaßen hat sich Tolstoi diese Geschichte zu eigen gemacht", sagt Rushdie.
Lebenslange Liebe zu Comics hat Rushdie nie aufgegeben
Bloß schade, dass man über den aktuellen Roman hinaus nichts Neues erfährt. Trotzdem kommt man Rushdie bei diesem kurzweiligen, munteren Gespräch näher, eben weil Kehlmann und Robben so vertraut mit ihm sind. So konnten sie ihm entlocken, dass er seine lebenslange Liebe zu Comics nie aufgegeben hat und dass "Das Dschungelbuch" in sein Lieblingskapitel von Victory City eingeflossen ist. Rushdie scheint tatsächlich wieder der Alte zu sein, mit seinem Humor und einer jugendlichen Neugier, weswegen man erfüllt und fasziniert von der Unbeugsamkeit dieses Autors gar nicht den Saal verlassen möchte.