Revolution des Buchhandels? KI-Tool sagt Verkaufszahlen voraus
Die KI-Anwendung DemandSens verspricht eine genaue Vorhersage für die Verkaufschancen eines Buches. Ein Vorteil für den Buchmarkt? Oder wird dadurch das Angebot in den Buchhandlungen zum Einheitsbrei?
"Es gibt da so einen dummen alten Spruch: 'Bücher schicken hin und her, machen deine Taschen leer'", sagt Jana Büchert, die eine Buchhandlung in Hamburg führt. Sie ist in diesen Wochen damit beschäftigt, nicht verkaufte Bücher an die Verlage zurückzusenden, um Geld zurückzubekommen. Eine Grundlage des deutschen Buchhandels: Die sogenannten Remittenden.
"Die gehen auch mal ganz schön in den Rücken, wenn man sich damit einen Tag lang beschäftigt. Im Buchhandel zahlt immer die Buchhandlung das Porto, und zwar für hin und zurück", erklärt Büchert den finanziellen wie physischen Aufwand ihrer Arbeit.
Buchhandlung: Ökonomische Zwänge statt Romantik
Die romantische Vorstellung von der verwunschenen Buchhandlung zerstreut Büchert schnell. Auch ihr gut kuratierter Buchladen mit liebevollen Auslagen mitten im Hamburger Univiertel Grindel ist ein Geschäft, betont sie - eingeschränkt durch ganz schnöde Faktoren wie Geld und Platz, mit denen sie sich arrangieren muss. Auch bei der richtigen Buch-Auswahl für ihre Verkaufsregale: "Ich kann nicht einkaufen, bis der Laden platzt. Deswegen bin ich ein bisschen vorsichtig und warte lieber ab, welcher Titel gut läuft."
KI-Tool DemandSens berechnet Verkauf vorab
Büchert ist klar, dass bei den Verlagen das gelassene Abwarten nicht funktioniert: Denn die wollen ihre Bücher loswerden, gleichzeitig aber nicht überproduzieren. Das KI-Tool DemandSens verspricht hier die Lösung: Es will ladengenau berechnen können, welches Buch wie oft verkauft werden wird. Die Erfolgsquote lag im Test bei annähernd 90 Prozent.
DemandSens: Atombombe oder MacDonaldisierung?
Gut für die Umwelt, aber natürlich besonders gut für den Geldbeutel der Verlage. Vielleicht hatte deshalb die Ankündigung dieses Tools im Oktober für Wirbel gesorgt. Als "Atombombe" bezeichnete die "Süddeutsche Zeitung" die KI. Der Literaturagent Thomas Montasser fasste in einem Gespräch mit dem SWR die Bedenken mit einem weiteren Bild zusammen:
"Die Gefahr ist, dass wir uns plötzlich in einer Gemeinschaftsbrühe wiederfinden, die nur den kleinsten gemeinsamen Nenner abbildet. Die nichts weiter ist, als das, was allen und jedem gefällt. Es ist eine McDonaldisierung der Literatur, wenn sie so wollen", warnt Montasser.
Von Stenglin: KI weckt Angst vor Bedeutungsverlust
Ulrike von Stenglin sieht das etwas anders. Die Geschäftsführerin des Gutkind-Verlages hat im vergangenen Jahr schon eine Vorführung von DemandSens besucht. Die KI habe in der Präsentation aber keine Entscheidung getroffen, die Stenglin nicht auch ähnlich beurteilen würde. Die Atombombe? "Nein. Ich glaube, das ist eine Angst von Bedeutungsverlust der Deutungshoheit einiger Feuilletonist*innen. Das teile ich nicht", sagt Stenglin.
Professorin Thomalla bremst Erwartungen an KI-Tool
Erika Thomalla, Professorin für Buchwissenschaften, versteht, dass eine KI-Berechnung den Gewinn von großen Verlagen durchaus maximieren könnte. Aber für die Vielfalt am Markt sorgten auch mittlere und kleine Verlage. DemandSens bewertet nicht den Text eines Buches, sondern nur Metadaten wie Autor*in und Genre.
"Ich bezweifle sehr, ob dieses Tool dazu führen wird, dass man direkt, wenn man ein Manuskript zugeschickt bekommt, sagt: Jetzt lassen wir es erstmal da durchlaufen und gucken uns an, wie erfolgreich das sein wird. Denn das könnten sie jetzt schon machen. Ich glaube, man braucht kein KI-Tool um zu sagen, dass ein Lyrikband nicht ein paar Millionen Mal verkauft wird", bremst Erika Thomalla die Erwartungen an das Tool.
DemandSens verspricht: Innerhalb von 1,3 Sekunden berechnet die KI auf der Grundlage von fünf Milliarden Daten die Verkaufschance eines Buchs. Anbieter MediaControl greift dazu auf die Zahlen von tausenden Verkaufsstätten zurück.
Büchert: Tool interessant, missionarischer Eifer bleibt
Buchhändlerin Jana Büchert sagt, sie würde solche KI-Tools nutzen, wenn sie niedrigschwellig für sie verfügbar wären. Ihr Angebot würde sie in der Breite deswegen aber nicht anpassen: "Natürlich kaufen wir so ein, dass wir denken, dass es unsere Kund*innen anspricht. Aber man hat auch einen kleinen missionarischen Eifer. Es gibt Bücher, die ich gerne verkaufen möchte, auch wenn die vielleicht nicht ganz den Ansprüchen entsprechen", so Büchert.
Durch ihre Erfahrung sei sie sowieso ihr eigener kleiner Algorithmus, lacht sie. Sie könne gut Nein sagen, notfalls auch zu KI-Berechnungen. Doch wenn die KI einfach nur helfen würde, den eigenen Rücken zu schonen, indem durch die Prognose weniger Remittenden anfielen: "Ich glaube, ich würde es ausprobieren. Interessant fände ich es auf jeden Fall."
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