Reiner Kunze wird 90: Unbeugsam und preisgekrönt
Der Lyriker Reiner Kunze wird heute 90 Jahre alt. Sein Leben spiegelt die deutsch-deutsche Teilung und ist ein Beispiel für das harte Schicksal, das die DDR-Obrigkeit einem oppositionellen Intellektuellen zu bereiten in der Lage war.
"Am 12.7.1978 10 Uhr 45 reiste die Schülerin HARTWICH zum Tagesaufenthalt in die Hauptstadt der DDR ein und führte lt. Zollerklärung 1 Kopftuch und 1 Buch / Broschüre 'Zimmerlautstärke' von Reiner Kunze vor. Die H. erklärte, dass diese beiden Gegenstände für die W. bestimmt seien (Geschenk) dass sie mit der W. zusammentreffen wollte und ihr die Geschenke übergeben wollte."
Es ist mein einziger Stasi-Eintrag. Schon oft hatte ich die Kontrollen am Bahnhof Friedrichstraße passiert und war nie erwischt worden. Nun aber doch, ausgerechnet. Ich hatte die Naive gegeben, ein paar Stunden in einem Kabuff abgesessen und war wieder nach Hause geschickt worden, in den "Westen". Reiner Kunze war mein Held. Die Gedichte in seinen Bänden "Zimmerlautstärke" und "Sensible Wege" kann ich noch heute zum Teil auswendig: Politisches, Lustiges, Weises, manchmal einfach nur Menschliches.
Reiner Kunze: Überwacht und schikaniert
Blicke ich heute zurück, würde ich sagen: Er war nicht mein, sondern ein Held. Der studierte Sohn eines Bergarbeiters wurde, weil er unbotmäßig und nicht "auf Linie" war, überwacht, schikaniert, mit Publikationsverbot belegt, gegen seine deutsch-tschechische Frau Elisabeth ermittelt. Der SED-Staat zeigte sein hässlichstes Gesicht, setzte alles daran, ihn zu brechen. Er ist nicht eingeknickt. 1976 erschien sein Prosaband "Die wunderbaren Jahre", aber nicht in der DDR, sondern bei S. Fischer im Westen, woraufhin Kunze aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde. Am 13. April 1977 war es so weit: Ausreise. "Wenn ich den Menschen dieses Landes noch etwas nützen können will, musste ich die DDR verlassen", sagte Kunze.
Ein Kämpfer - und bis heute ein aktiver Lyriker
Noch im selben Jahr - 1977 - erhielt er den Georg-Büchner-Preis. 1990 wurde ihm seine umfangreiche Stasi-Akte zugespielt, die man für verbrannt gehalten hatte. Er überwand sich und gab eine Dokumentation dieser jahrzehntelangen Zermürbungsstrategie heraus: "Deckname Lyrik". Es stellte sich heraus, dass ihn der 1999 verstorbene Ibrahim Böhme alias IM "Paul Bonkarz", nach der Wende Vorsitzender der DDR-SPD, den Kunze für einen Freund hielt, jahrelang verraten hatte. Als das herauskam, war Böhmes Karriere beendet. "Ich möchte nicht wieder, dass solche Menschen Macht über meine Familie, über mich und alle die haben, die unter dieser Macht gelitten haben", so Kunze.
Ein Kämpfer ist er geblieben: 1996 trat er vehement gegen die Rechtschreibreform ein. Er schreibt und schreibt - Gedichte, Kinderbücher, Übersetzungen aus dem Tschechischen, Vorträge. Sein vorerst letzter Gedichtband "die stunde mit dir selbst" erschien 2018. Unermüdlich, sensibel, unbeugsam. Herzlichen Glückwunsch, danke dass es Sie gibt, Reiner Kunze!