Niels Frevert mit Gitarre am Mikrofon im Studio von NDR Kultur. © NDR Foto: Claudius Hinzmann
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AUDIO: Niels Frevert über Lyrik und sein Album "Pseudopoesie" (10 Min)

Niels Frevert: "Songtexte sind eine Unterform der Lyrik"

Stand: 21.03.2023 12:41 Uhr

Am Welttag der Poesie spricht der Hamburger Musiker Niels Frevert über die Lyrik von Rammstein und Bob Dylan - und über sein Album "Pseudopoesie".

Am 21. März ist der "Welttag der Poesie". Bekannt für seine anspruchsvollen Texte und anspruchsvolle Popmusik ist der Hamburger Musiker Niels Frevert. Er war in den Neunzigern sehr erfolgreich mit seiner Band Nationalgalerie. Am Freitag erscheint sein neues Album "Pseudopoesie".

Was bedeutet Pseudopoesie und wo sind wir davon umgeben?

Niels Frevert: Ich mag Pseudopoesie, der Begriff ist positiv besetzt für mich. Sie ist hier und überall, wo man sie entdecken will. Sowohl Poesie als auch Pseudopoesie. Beides hängt miteinander zusammen. Das fängt wahrscheinlich schon bei der Reklame in der U-Bahn an.

Aber das ist sehr relativ, was man für Poesie hält und was für Pseudopoesie...?

Auf jeden Fall, das bleibt ja auch jedem und jeder selbst überlassen, das zu entscheiden.

Also ist es wie bei der modernen Musik: Stimmt das Orchester noch oder hat das Stück schon angefangen? Das ist ja manchmal ein bisschen fließend?

Frevert: Das ist auch wie im Museum vor einem Bild. Das entscheidet sich in einem selbst, was man darin sieht. Ich mache das auf jeden Fall so. Ich gucke mir die Sachen erstmal an und mache mir ein eigenes Bild - und dann erst lese ich mir den Begleittext durch...

In Ihren Texten ist viel Poesie zu finden. Zum Beispiel: "Ich suchte nach Worten für etwas, was nicht an der Straße der Worte lag." Ist das ein Programm für die Lyrik, nach vielleicht zwei Ecken mehr zu suchen, vom Klang her oder von der Bedeutung her?

Frevert: Es ist eine Suche, die auch nie zu Ende geht. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich diesen Satz, den Sie gerade zitiert haben, den habe ich tatsächlich Robert Musil entliehen, "Der Mann ohne Eigenschaften". Ich habe gedacht - nach 1.200 Seiten lesen - darf ich mir dann einen Satz ausborgen.

Inwieweit verzettelt man sich auch, indem man noch mal eine Ecke weiter sucht oder ein Wortspiel mehr verdreht oder verändert?

Frevert: Das ist natürlich das Schöne am Songtexten. Songtexte haben ein Format, das steht relativ fest, dreieinhalb Minuten ungefähr. Wir haben einen Chorus, wir haben ein Refrain, wir haben eine Strophe, da muss es reinpassen. Dadurch gibt es bestimmte Regeln, an die man sich halten muss. Man kann nicht zu viel nachdenken oder es zu sehr verkopfen. Es muss auch rhythmisch stimmen. Das muss es natürlich bei Gedichten auch. Aber im Pop-Kontext muss es auch fließen.

"Der Textschreiber von Rammstein macht ein Song aus vier Zeilen"

Es gibt diesen Spruch, dass jemand sagt, "ach, ist doch verrückt, dass jeden Tag genau so viel passiert, dass es in 15 Minuten 'Tagesschau' reinpasst." Kann es passieren, dass man bei einem Song sagt "eigentlich habe ich mit einer Strophe alles gesagt". Oder aber: "Ich bräuchte eigentlich zwölf oder 15 Strophen"?

Frevert: Das ist von den Künstlern, von den Textdichterinnen und Textdichtern abhängig. Beispiel Rammstein: Der Textschreiber von Rammstein macht einen Song aus vier Zeilen, wenn man mal drauf achtet. Es sind sehr, sehr kurze Texte, und trotzdem hat er eine ganze Geschichte erzählt. Und dann gibt es Bob Dylan, der zwölf Strophen singt, der das aber auch so gut kann. Es wird nicht langweilig. Bob Dylan hängt noch einmal und noch mal und noch mal einen ran. Man folgt ihm und folgt ihm und folgt ihm.

Was ist ein Gedicht, das Sie inspiriert oder beflügelt?

Frevert: Ich bitte um Nachsicht, wenn ich mich tatsächlich mehr in der Welt der Textdichter und der Songtexte aufhalte. Ich glaube, Songtexte sind eine Unterform der Lyrik. Sie gehören auf jeden Fall mit dazu.

Ich sage nur nochmal: Bob Dylan und der Nobelpreis für Literatur! Was wirklich ein Zeichen war, vielleicht 20 Jahre zu spät. Aber manchmal brauchen die Dinge etwas länger. Ich kann nur sagen, und ich spreche da für viele Textdichter*innen, das hat mit uns ein bisschen was gemacht.

Ja, es gibt Popmusik, die soll auch im Supermarkt stattfinden. Die soll gefallen. Die ist so konzipiert. Aber es gibt auch eine Form von Popmusik, bei der tatsächlich die Texte auch eine große Rolle spielen, die vielleicht dann sogar für ein Tagesprogramm ein bisschen zu anspruchsvoll ist. Da zähle ich mich dann mit meinen Songs auch dazu.

Songtexte sagen viel über die Künstlerin, über den Künstler, über die Texter. Wie ist das bei Ihnen?

Frevert: Ich versuche in meinem Fall zu vermeiden, dass es zu viel eins zu eins gibt. Dann wird es langweilig. Und dann habe ich auch das Gefühl, der Autor, die Autorin dreht sich um sich selbst, dann ist es eine Nabelschau. Aber na klar, auf die längere Strecke - da hat nun Paul McCartney leicht reden - da ist natürlich viel zu entdecken. Und natürlich singt der wahrscheinlich auch über seine Schulzeit, über seine Mutter, über seine Kinder und so weiter...

Ist es möglich, Songtexte ohne den Song auch zu lesen als Lyrik, als Poesie?

Frevert: Auf jeden Fall! Wenn ich mal deutschsprachige Beispiele anführen darf: Zum Beispiel für die Hörerinnen von Element of Crime, von Tocotronic, von Judith Holofernes, das ist für die Lyrik! Das ist eine zeitgemäße Form davon. Das erfüllt das, was vielleicht früher Gedichte ihrem Publikum gegeben haben.

Ich mag Gedichte sehr, aber es ist ein bisschen aus der Zeit gefallen. Oder es findet auch woanders statt. Fragen Sie mal die jungen Leute: Für die ist nämlich Hip-Hop Lyrik! Ich meine nicht diese Gangster-Tuerei. Es gibt auch junge Leute wie Edgar Wasser, wie Haiyti, die sprechen die Sprache der Jungen. Das ist auch eine Kunst!

Sie haben auch ein Gedicht mitgebracht zum Welttag der Poesie.

Frevert: Ich behaupte mal, und das ist jetzt ein bisschen aus dem Fenster gelehnt, dass Rilke einen extrem guten Songtext abgegeben hätte. Aber ich habe hier eines von Hugo von Hofmannsthal ausgesucht, "Vorfrühling".

Wie lange wird es dauern, bis Sie eine Musik dazu finden würden, wenn Sie es müssten?

Frevert: Tatsächlich fällt mir sowas relativ leicht. Vor Jahren habe ich das mal für Heinz Rudolf Kunze gemacht. Da gab es noch Faxgeräte. Da hat er mir gesagt, "ich schicke dir mal meine Texte, die ich letzte Woche so geschrieben habe", und da ist mein Faxgerät in die Knie gegangen... Das Papier war dann alle. Herr Kunze schreibt viel, und er schreibt schnell. Da habe ich aber auch in kürzester Zeit fünf seiner Texte vertont. Wobei man sagen muss: Heinz Rudolf Kunze kommt aus dem Popbereich. Das war ein leichtes Arbeiten für mich.

Das ganze Gedicht "Vorfrühling", gelesen von Niels Frevert, und etwas Musik aus dem neuen Album "Pseudopoesie" ist im Audio zu hören.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 21.03.2023 | 08:15 Uhr

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