Markus Thielemann auf Spurensuche in der Lüneburger Heide
Der Autor Markus Thielemann schreibt in seinem neuen Roman "Von Norden rollt ein Donner" über die Heidelandschaft und den Wolf. Bei dem Titel geht es aber nicht um ein Gewitter, sondern unter anderem um einen Truppenübungsplatz mitten in der Südheide: Idylle und Gewalt liegen hier nah beieinander.
Jannes ist 19 Jahre alt. Täglich treibt er mit seiner Familie die Schafe über die Lüneburger Heide. So idyllisch das klingen mag, es herrscht gärende Unruhe: Schafsrisse mehren sich und damit Konflikte im Dorf. Die Situation spitzt sich immer weiter zu, droht in Selbstjustiz in der Bevölkerung zu eskalieren.
Markus Thielemann fächert in seinem neuen Roman "Von Norden rollt ein Donner", der auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, das Psychogramm einer Sehnsuchtslandschaft auf und zeigt auf subtile Weise, wie sich ein Idyll in sein Gegenteil verkehren kann.
In Ihrem Buch gibt es den realen Faktor Wolf, der wieder aufgetaucht ist und es gibt die Geschichte des Ortes. Das alles wird in verschiedenen Ebenen übereinandergestapelt und verwoben. Wie haben Sie sich diesem Thema genähert? Oder gab es einen Anlass für Sie, dass Sie dachten, es gibt Sympathien und Subthemen, über die Sie gerne schreiben würden?
Markus Thielemann: Ich schreibe gerne über Landschaften, oder über die Art, wie Mensch und Landschaft in Verbindung stehen. Das ist das, was mich als Grundthema interessiert. Meine erste Idee war, ich möchte über den Wolf schreiben, weil ich das aus dem ländlichen Niedersachsen in den vergangenen zehn Jahren häufig mitgeschnitten habe. Es war ein Thema, was mich sehr interessiert hat, bei dem ich oft die Lokalnachrichten und die Diskussion darüber verfolgt habe. Es ist die Art, wie ein neues Raubtier in der Kulturlandschaft reingeht, alles durcheinanderwirbelt und auf einmal löst es ganz viele emotionale Reaktionen aus. Das fand ich sehr spannend. Das hat mich dazu gebracht, darüber schreiben zu wollen. Im Zuge dessen bin ich in der Südheide gelandet.
Es gibt sehr schöne Karten vom Wolfsmonitor Niedersachsen, wo man genau sehen kann, wo die Wolfsrudel sich wann angesiedelt haben. Da ist mir sehr schnell aufgefallen, dass die in der Südheide sehr konzentriert sind. Denn dort sind diese Truppenübungsplätze wie Bergen, Munster und das große Waffentestgelände von Rheinmetall. Das sind alles sehr große, eingezäunte Bereiche, die kaum bejagt sind, wo keine Touristen reindürfen, und das finden die Wölfe sehr schön und haben sich dort breitgemacht. Im Zuge dessen habe ich mich erst so richtig mit der Heide beschäftigt, mit der Geschichte, auch mit dem Kitsch, der dahintersteht, auch mit dem Tourismus. Das hat mich alles sehr gebannt. Für mich war schnell klar, da sind so viele Sachen auf einmal, die muss ich alle zusammenbringen. Das war für mich der Prozess dahinter.
Es ist eine außerordentliche Landschaft. Eine Landschaft, in der man einerseits dieses Heide-Idyll hat, aber es ist auch eine Kulturlandschaft, die nicht natürlich entstanden ist, das weiß man heute. Es ist eine Landschaft, die gleichzeitig durch verschiedene Dichter, wie zum Beispiel Hermann Löns, der auch in Ihrem Buch vorkommt, instrumentalisiert wurde. Eine Landschaft, die bis heute ein Idyll verkaufen soll. Eine Landschaft, die beim Tourismus außerordentlich beliebt ist. Gleichzeitig hat man in diesem ganzen Gebiet, über das Sie schreiben, ein ehemaliges Konzentrationslager Bergen-Belsen, verschiedenste Außenlager, einen der größten Waffenhersteller und verschiedenste Standorte der Bundeswehr mit einen Nato-Truppenübungsplatz. Eine Gemengelage, die wahrscheinlich für einen Schriftsteller eine gewisse Einladung ist zu sagen, das gucke ich mir mal genauer an.
Thielemann: Genau, da war auch die Idee von Idylle und Gewalt, das ist räumlich so nahe beieinander. Der Titel heißt "Von Norden rollt ein Donner" und wahrscheinlich, denkt man, es geht um Gewitter. Aber es geht um den Geschützdonner, der teilweise über diese Heideflächen, alle zehn bis 15 Minuten rüberpocht. Das fand ich ein unheimliches Bild. Wenn man sich dann einmal damit beschäftigt, dann erfährt man, dass die ersten Schutzgebiete, die es dort gab, einige der ältesten in Deutschland überhaupt sind. Zumindest was Landschaftsschutz angeht, weil es schon im Kaiserreich als sehr schöne Landschaft verstanden wurde. Es gibt aus der Zeit unglaublich viele Landschaftsgemälde, die die Lüneburger Heide zeigen. In der gleichen Zeit hat das preußische und später das deutsche Kaiserreich-Militär angefangen, dort Flächen für die Truppenübungsplätze aufzukaufen, das ist parallel passiert. Das ist sehr spannend. Ich musste wahrscheinlich darüber schreiben.
Das Gespräch führte Martina Kothe.