Charly Hübner über seine literarische Wiederbegegnung mit Uwe Johnson
Charly Hübner verlässt als Jugendlicher sein Elternhaus und findet Zuflucht in der Literatur von Uwe Johnson. Viele seiner damaligen Fragen konnte der heutige Schauspieler mit ihm beantworten. Ein Gespräch über Hübners literarische Wiederbegegnung mit Uwe Johnson.
In vielen Genres und Gewerken ist Charly Hübner mittlerweile zu Hause, nicht nur auf der Bühne und vor der Kamera, sondern auch hinter der Kamera und in der Schreibstube. Viele Jahre war er als Kommissar Sascha Bukow beim Rostocker Polizeiruf im Fernsehen zu sehen. Er spielt immer noch, führt aber auch Regie, arbeitet zusammen mit dem "Ensemble Resonanz". Charly Hübner hat viel vor.
Nun hat er ein Buch über eine literarische Wiederbegegnung geschrieben: "Wenn du wüsstest, was ich weiß … Der Autor meines Lebens" - eine Hommage an Uwe Johnsons "Jahrestage", die er mit Caren Miosga eingelesen hat. Es gibt also viel zu besprechen, das tut er mit Katja Weise in NDR Kultur à la carte.
Sie haben sich intensiv mit Uwe Johnson beschäftigt, nicht nur durch das Einlesen des Hörbuches zu den "Jahrestagen", sondern Sie haben auch ein Buch dazu geschrieben. Er interessiert Sie, weil Johnson nicht ganz leicht zu entziffern ist, oder?
Charly Hübner: Uwe Johnsons amerikanische Verlegerin hat ihm eine relativ private Frage gestellt, es ging um Gesundheit und die Antwort war: 'Wenn du wüsstest, was ich weiß ...' Sie hat etwas herausgefunden. Man kennt diesen Satz, man darf nicht zu sehr ins Glas der Weisheit schauen, ansonsten wird die Welt danach dunkler. In so einem Satz ist eine große Trübnis, da könnte man vielleicht die Hoffnung verlieren.
Das andere ist dieser Antrieb, der unser Leben in einer Gesellschaft ausmacht. Das ist in unserem Schauspielerberuf das A und O. Warum agieren Menschen in den großen alten Dramen, wie sie agieren? In den Dramen von heute ist es unsere Aufgabe, wenn man es jetzt pathetisch beschreiben möchte, dass wir uns in einer Gesellschaft zur Verfügung stellen und einen Spiegel abliefern. Wenn wir unseren Narzissmus in den Griff kriegen und sagen, "wir geben euch jetzt mal anderthalb, zwei oder fünf Stunden die Gelegenheit, in das Gewebe reinzugucken, wie ihr seid und wie wir alle sind" - vielleicht haben zwei von 1.200 Leuten Lust, danach dem Kind morgens guten Morgen zu sagen und nicht einfach vorbeizugehen. Das ist der Spaß an der Kunst.
Was meinen Sie, wie war Uwe Johnson?
Hübner: Uwe Johnson hat als Teenager sehr früh im Laufe des Krieges seinen Vater verloren: Der wurde von den sowjetischen Soldaten mitgenommen, weil er in der SA war. Nach drei Jahren kam er nicht mehr wieder. Dann war klar, er ist irgendwo in der Ukraine im Gefangenenlager zu Tode gekommen. Wenn du diesen Schritt zwischen zehn und 14 Jahren erlebst, ist das nicht ohne. Die kindliche Seele erleidet dann einen harten Verlust. Die Kernstruktur ist kaputtgemacht worden. Dass das kein Einzelfall ist, ist klar. Aber bei dieser Person gilt es herauszufinden, was passierte da wirklich?
Ich sitze in einem Studio und spreche in ein Mikrofon. Warum wird beim Rausgehen gesagt, der hat die ganze Zeit nur aus dem Fenster geguckt. Wir beide wissen, dass das nicht stimmt. Wir beide würden sagen, Charly hat ins Mikrofon gesprochen. Aber jemand anderes sagt, der hat die ganze Zeit nur aus dem Fenster geguckt und ist, ohne was zu sagen, gegangen.
Uwe Johnson beobachtete, dass Menschen auf dem Dorfplatz einfach als Leichen abgelegt wurden. Jemand anderes hat gesagt, die sind schuld, weil die ganz dolle krank sind. Man hat aber gesehen, dass sie erschossen wurden. Das war ein Antrieb für die Literatur. Als Student an der Universität in Rostock blieb ihm das ganze Gebaren dieser jungen DDR-Regierung immer fragwürdig. Johnson hat die Literatur für sich als Recherche-Feld gesehen, um einen wahrhaftigen Moment zu finden.
Die DDR ging gerade unter, meine Eltern waren völlig verwirrt. Wir hatten in der Familie einen totalen Riss, weil ich immer sagte: 'Das ist doch super, jetzt können wir endlich wieder zu den Verwandten im Westen.' Wir hatten gar keine Verwandten. Meine Eltern sahen einfach nur, wie sich ihre ganze Biografie auflöste, die ganzen Festen, auf denen sie lebten und standen, verschwammen. Aus diesem Dissens haben wir zehn Jahre gebraucht.
Als Teenager ist man so großmäulig, aber es war trotzdem komisch, dass man die Eltern jetzt nicht mehr sah. Man hat heimlich geweint. In diesen Riss, da tauchte für mich ein Autor auf, der sich mit diesen Fragen sehr umständlich zum Teil, manchmal aber auch geradeaus befasst hat: Uwe Johnson. Das war wie eine Überführung auf einer Hyper-Ebene. Hätte jemand gesagt, such' mal einen Autor für den Charly, der ihm seine Fragen beantwortet, hätte mir niemand Uwe Johnson gegeben. Das war zu sehr Hochliteratur. Aber bei mir hat der gut funktioniert.
Das Gespräch führte Katja Weise.