Literaturland Österreich: Böser Humor und milder Charme
Österreich ist dieses Jahr das Gastland der Leipziger Buchmesse. Die Vorschauen der Verlage quellen über von Romanen aus der Alpenrepublik und schon in den ersten Wochen des Jahres ist ein spektakuläres Buch österreichischer Herkunft nach dem anderen erschienen.
Am Rande spielen wohl die besten Geschichten - und die schönsten: Arno Geiger stammt aus Vorarlberg, am westlichen Rand Österreichs und am östlichen Rand des Bodensees. Er schreibt über Liebesbeziehungen am Rande des Scheiterns, über junge Menschen am Rande des sogenannten Erwachsenseins, über den kranken Vater am Rande der Vernunft und über die Schönheit des Randständigen.
Arno Geiger: Der Stoff liegt auf der Straße - und in Containern
Die meisten österreichischen Autorinnen und Autoren kommen von den Rändern, sagt Arno Geiger, den Sprachrändern - aus stark dialektal geprägten Landschaften. Deshalb entwickeln sie früh ein Gespür für Nuancen, weil die Menschen in jedem Dorf anders sprechen und die deutschen Touristen einen nicht verstehen. So entsteht eine magische Melodie für das, was erzählt werden will. "Ich gehöre zu den Autoren, die davon ausgehen, dass die Stoffe auf der Straße liegen", sagt Geiger. "Es braucht nicht viel, einen Menschen, eine Situation - und alles ist präsent."
Die Stoffe liegen auf der Straße - als Arno Geiger uns das vor 15 Jahren erklärte, wussten wir nicht, dass das, soweit es ihn betrifft, nur eine unvollständige Beschreibung der Wirklichkeit ist. Durch sein autobiographisches Buch "Das glückliche Geheimnis" wissen wir nun: Sie liegen nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Papiercontainern. Wie der Schriftsteller jahrelang in den Abfällen wühlte auf der Suche nach Briefen, Tagebüchern, nach Weggeworfenem von Gestern und Vorgestern - das ist eine große Geschichte.
Raphaelea Edelbauer: Der Sinn als Ganzes
Arno Geiger sagt, seine Rand-Theorie gelte nicht für Wiener; denn die seien geprägt von der k.u.k.-Kanzleisprache - vom höfischen Zeremoniell. Dieses herrlich Gewundene und Verschlungene gehört tatsächlich zum Repertoire der Wienerin Raphaela Edelbauer. Aber sie kann noch viel mehr: In ihren drei Romanen hat die heute 32-Jährige ihre Figuren in unterschiedlichsten Zungen sprechen lassen. Je nach Dramatik und Kuriosität der Situation, in die sie ihre Figuren mit Verve schleudert - diese Einzelwesen, deren Lust und Leid sich irgendwann zum großen Ganzen fügt.
"Für mich steht der Werkgedanke stärker im Vordergrund als die Frage nach gelungenen Einzelbüchern", sagt Edelbauer. "Auch wenn die Einzelbücher natürlich gelingen müssen, sonst liest man das nächste nicht. Hoffentlich ergibt das dann - auf die Jahrzehnte gesehen, die ich noch zu leben plane - auch als Ganzes einen Sinn."
Nun könnte man zwar sagen, dass ihr gerade erschienener Roman "Die Inkommensurablen" infolge erfreulichen Erzählüberschwangs unerfreulich überkonstruiert sei, aber egal: Von Raphaela Edelbauer als einer der ganz Großen der österreichischen Gegenwartsliteratur wird man noch lange hören und lesen.
"Frankie": Skepsis gegen den Großvater
Hören oder lesen? Bei Michael Köhlmeier kann man sich nicht so recht entscheiden. Denn er liest so schön wie er schreibt:
"Am Dienstag haben sie Opa entlassen. Er ist jetzt 71. Mama wollte, dass ich mitgehe, ihn abholen. Wir sind erst mit dem Zug bis Krems gefahren und dann weiter zu Fuß. Aber ich habe es mir nach einer Weile anders überlegt und mich auf die Bank hinter der Fußgängerbrücke gesetzt. Mama hat gesagt: Was jetzt? Ich hab‘ gesagt: Ich warte hier." Buchzitat - "Frankie"
Franks Skepsis gegen seinen Großvater, der 18 Jahre im Knast saß, ist berechtigt. Köhlmeiers neuer Roman "Frankie" ist eine schwungvollen Variation seines jahrzehntelangen Nachdenkens über das Böse.
Schreiben ist "Aufschneiden durch Sprache"
Böser Humor und milder Charme, diese österreichischen Spezial-Disziplinen, tragen viele der österreichischen Romane, die dieses Jahr bereits erschienen sind (etwa "Einsteins Hirn" von Franzobel) oder es in den nächsten Wochen noch tun ("Echtzeitalter" von Tonio Schachinger). Teresa Präauer definiert in "Kochen im falschen Jahrhundert", warum Österreicherinnen und Österreicher schreiben:
"Es ist ein Aufschneiden durch Sprache und Angeben mit Sprache, aber auch eine Rettung durch Sprache, weil das Leben erträglicher wird, wenn man die rechten Worte findet." Buchzitat - "Kochen im falschen Jahrhundert"