Literarische Übersetzungen: Was der Mensch der KI voraus hat
Wird der Mensch tatsächlich von künstlicher Intelligenz verdrängt? Das fragen sich gerade viele in kreativen Berufsfeldern. So scheinen intelligente Sprachmodelle professionelle Übersetzer überflüssig zu machen. Oder hat die KI doch ihre Grenzen?
Ein Schreibtisch und ein Laptop, das ist im Prinzip alles, was Eva Bonné für ihre Arbeit in ihrer Berliner Altbauwohnung braucht. Aber es gehört doch so viel mehr dazu. Seit 25 Jahren überträgt die studierte Amerikanistin englisch-sprachige Literatur ins Deutsche. Zwei bis drei Monate braucht sie für eine der Übersetzungen, die inzwischen fünfeinhalb Reihen in ihrem Bücherregel füllen. Der Rest ist bestückt mit all den Werken, die das Gerüst ihrer Arbeit bilden: Roman-Klassiker, philosophische Werke, ein Kompendium der englisch-sprachigen Dichtung.
Die Kunst, den richtigen Sound zu finden
Für jedes Projekt wandert ein Stapel davon Richtung Schreibtisch. Denn bevor es losgehen kann, muss sie in die Welt des jeweiligen Buches eintauchen. "Ich habe im Winter eine Graphic Novel über Jane Austen übersetzt. Also in dem Text kamen natürlich viele Jane Austen-Zitate vor, deswegen habe ich die ganzen deutschen Ausgaben hier gebraucht", erzählt Bonné. Die Kunst der Literaturübersetzung besteht darin, einen deutschen Sound zu finden, der dem fremdsprachigen Original am besten entspricht.
"Was ich immer mache, bevor ich einen Auftrag annehme", erklärt die Übersetzerin, "ich schaue mir den Ton an. Denke, bin ich die richtige Übersetzerin dafür? Denke, kann ich mit meinen Mitteln diesem Text gerecht werden, diesen schön ins Deutsche übertragen? Erst dann entscheide ich mich eben dafür oder dagegen." Nicht lange nachdenken musste Eva Bonné, als ihr der neue Roman von Pulitzer-Preisträger Richard Powers "Das große Spiel" angeboten wurde.
Fach-Vokabular für Spezialbereiche
Die Arbeit an diesem 512 Seiten dicken Wälzer war allerdings extrem recherche-intensiv, sagt sie. Das Go-Brett, das neuerdings unten in ihrem Bücherregal steht, zeugt davon. Diese chinesische Schach-Variante musste sie erst mal selbst spielen lernen, um die im Buch geschilderten Partien übersetzen zu können. Powers streift aber auch mal eben die Geschichte der Computerspiele, die Entwicklung Künstlicher Intelligenzen und der sozialen Netzwerke und lässt außerdem eine Meeresbiologin Tauchgänge im pazifischen Korallenriff unternehmen.
Sie spielte Verstecken mit Kraken und Fangen mit Pygmäenseepferdchen. Mit rudernden Armen wich sie vor Anemonenkolonien zurück. Sie stellte sich auf den Kopf, um einen Blick in alle Ritzen und Spalten unter den Korallen zu werfen, in die Unterschlupfe von wild gemusterten Mandarinfischen und eleganten Grünen Muränen.“ Leseprobe aus "Das große Spiel"
Allein um dieses Fach-Vokabular parat zu haben, braucht die Übersetzerin selbst einen Crash-Kurs in Ozeanographie. "Ich hab mir in dem Fall zum Beispiel wahnsinnig viele Dokus angeguckt. Man kann sich ja auf arte oder auf YouTube diese Tauchgänge anschauen. Das ist immer eine gute Inspiration."
Menschliche Übersetzungen bisher unverzichtbar
Literarische Übersetzung ist eben mehr als Wort für Wort Vokabeln zu übertragen. Deshalb hat Eva Bonné aktuell auch keine Sorge, von einem intelligenten Sprachprogramm ersetzt zu werden. Das nämlich befürchten viele in der Branche: Dass Verlage künftig menschliche Fachkräfte nur noch fürs Aufpolieren von KI-Übersetzungen bezahlen wollen. "Einen KI-übersetzen Text zum Leben zu erwecken, das ist wirklich, als würde man sich über einen Leichnam hermachen und versuchen, den zum Leben zu erwecken. Ich kann mir gerade nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Also ich müsste mein Honorar nicht verdoppeln, sondern müsste es vervierfachen - allein durch die Zeit, die ich verlieren würde."
Abgerechnet wird bei Übersetzungen übrigens pro Seite. Und die Sätze sind meist so niedrig, dass man kaum oder nur bescheiden davon leben kann. Immerhin halten renommierte deutsche Verlage den Einsatz literarischer Übersetzer und Übersetzerinnen bisher für unverzichtbar. KI-Einsatz aktuell nicht in Sicht, sagt Rowohlt-Lektorin Sarah Houtermans: "Wir beobachten natürlich die Entwicklung mit offenen Augen, das ist ja klar. Gleichzeitig ist es aber so, dass literarisches Übersetzen eigentlich die Neuschaffung eines künstlerischen Werks in einer anderen Sprache bedeutet. Und dafür braucht es ein umfangreiches Wissen, ganz viel Kontext, Sprachgefühl, Gefühl für Rhythmus und Musikalität, was menschliche Übersetzer*innen haben, aber künstliche Intelligenz eben nicht."
Große Verantwortung für Autoren
Eva Bonné wird es also in absehbarer Zeit nicht an Aufträgen mangeln. Sie liebt ihren Beruf, ihr Leben in Bücherwelten, ihre Begegnungen auch mit den Autoren und Autorinnen, die sie übersetzt und denen gegenüber sie eine große Verantwortung spürt: "Ich möchte denen gerecht werden. Also die sollen wirklich die bestmögliche Übersetzung kriegen, die sie verdient haben! Und ich denke, die Verlage sehen das auch so."
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