Kommentar zur IGLU-Studie: Lesekompetenz ist nationale Aufgabe
Die Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie zur Lesekompetenz sind dramatisch. Die deutschen Schülerinnen und Schüler schneiden weit schlechter ab als Gleichaltrige in anderen Ländern. Ein Kommentar von Autorin Kirsten Boie.
Ein Viertel unserer Kinder erreicht am Ende der Grundschulzeit nicht die Lesefähigkeit, die nötig wäre, um die weitere Schullaufbahn sinnvoll durchlaufen zu können und später einen qualifizierten Beruf zu erlernen. Ohne lesen zu können, kann ich keinem Unterrichtsfach folgen, ohne lesen zu können, schaffe ich auch später die Berufsschule nicht, geschweige denn ein Studium. Wir klagen über Fachkräftemangel, aber ein Viertel unserer Kinder verlieren wir schon in der Grundschulzeit. Schon 2001 hat die damalige PISA-Studie gezeigt, dass 21 Prozent der Jugendlichen, wenn sie die Schule verlassen, nicht ausreichend lesen konnten: Das sind genau die Menschen, die uns heute in verschiedensten Berufen fehlen. Gelernt haben wir daraus offenbar nicht viel.
Was können wir dagegen tun?
Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind in Deutschland bei der Einschulung die Sprachfähigkeit besitzt, die es braucht, um Lesen zu lernen - egal, woher seine Familie stammt oder ob seine Eltern ihm vorlesen oder überhaupt nur regelmäßig mit ihm sprechen. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Lehrkräfte ein Wissen über erfolgreiche Methoden der Lesevermittlung besitzen, auch durch Weiterbildung im Beruf. Wir brauchen mehr Studienplätze für Grundschullehrkräfte und Ausbildungsplätze für Erzieherinnen und Erzieher.
An den Schulen müssen endlich in allen Bundesländern die didaktischen Methoden umgesetzt werden, von denen wir inzwischen wissen, dass sie Erfolg haben. Im Wege stehen uns vor allem der Bildungsföderalismus: Jedes Bundesland entscheidet nicht nur selbst über seine Bildungspolitik, es muss sie auch selbst finanzieren. Und da fehlen den Ländern und Kommunen für das, was nötig wäre, auch schlicht die Mittel.
Sondervermögen Bildung ist dringend nötig
Selbst wenn die Länder für die Bildungspolitik zuständig sind: Für die extrem kostspielige Finanzierung darf gerne der Bund einspringen, weil es das gesamte Land betrifft, wenn Fachkräfte fehlen oder die Demokratie Schaden nimmt, weil sich immer weniger Menschen mit komplexen politischen Zusammenhängen in Texten auseinandersetzen können. Wir brauchen dringend ein Sondervermögen Bildung.
Dass alle Kinder nach der Grundschule sicher lesen können, muss eine nationale Aufgabe werden. Immerhin: Für dieses Jahr haben sich die Kultusminister explizit vorgenommen, die Bildungssprache Deutsch zu stärken.