Cover - Iwan Turgenjew: "Väter und Söhne" © Insel Taschenbuch

Iwan Turgenjew: "Väter und Söhne"

Stand: 05.07.2016 15:29 Uhr

In der zweiten Staffel der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir in 25 neuen Folgen durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Iwan Turgenjew "Väter und Söhne".

Von Hanjo Kesting

Iwan Turgenjews bis heute anhaltender Ruhm beruht vor allem auf seinem Roman "Väter und Söhne". Bereits der Titel wurde zur zitierfähigen Formel und stellt das Buch neben andere Musterromane der Epoche: "Rot und Schwarz" von Stendhal, "Krieg und Frieden" von Tolstoi, "Verbrechen und Strafe" von Dostojewski.

Bei Turgenjew geht es um die Auseinandersetzung zwischen der älteren und der jüngeren Generation, eben zwischen den "Vätern" und den "Söhnen", entfaltet vor dem Hintergrund der liberalen Bestrebungen im zaristischen Russland um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Der Roman erschien 1862, und da er in der aktuellen Gegenwart Russlands angesiedelt war, löste er leidenschaftliche literarische und politische Debatten aus, die sich vor allem an der Hauptfigur entzündeten, dem "Nihilisten" Jewgenij Basarow.

Turgenjew: Erfinder des Wortes Nihilist?

Ob das Wort "Nihilist" eine Erfindung Turgenjews war, wie er selbst glaubte, ist zweifelhaft, aber durch den Roman "Väter und Söhne" wurde es geradezu triumphal in die intellektuelle Debatte seiner Zeit eingeführt. Im Russland der 1860er Jahre entstand eine philosophische und politische Bewegung, die als "Russischer Nihilismus" Geschichte gemacht hat, von den Zarenattentätern bis zu den Terroristen späterer Tage. Turgenjew gab diesem Typus seinen historischen Namen und in Basarow eine konkrete Gestalt. In dem großen Schisma der russischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts - auf der einen Seite die sogenannten "Westler", auf der anderen Seite ihre slawophilen Gegenspieler - verkörpert der Autor von "Väter und Söhne" zwar den exemplarischen "Westler", das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein gesamtes Werk zutiefst russisch geprägt ist, noch stärker bestimmt ist von russischen Themen, Stoffen, Charakteren und Landschaften als selbst das Werk von Tolstoi und Dostojewski.

Zum Inhalt des Romans

Basarow, ein angehender Mediziner, steht in dem Roman wie ein fremdartiger Monolith, der feinen und sanften Erzählwelt Turgenjews im Grunde kaum zugehörig. Und doch ist er das belebende Element, das die notwendige Reibung erzeugt, aus dem der Autor seine Funken schlägt. Fast meint man hinter ihm bereits den "neuen Menschen" einer späteren Zeit zu erblicken, den sozialistischen Menschen der Zukunft, der seinen Daseinszweck in der Arbeit findet.

Aber dann widerfährt es Basarow, dass er sich verliebt, in die schöne und junge Gutsherrin Anna Odinzowa. Sie ist die Gegenfigur zu Basarow, das zweite Kraftzentrum des Buches, eine der vielen großartigen Frauengestalten Turgenjews – das war eine seiner besonderen Stärken, solche Mondgeschöpfe und Sirenen zu zeichnen. In ihrer prachtvollen Schönheit ist sie ein rätselhaftes Wesen, an vielem interessiert, von wenigem befriedigt, ohne Vorurteile, aber auch ohne feste Grundsätze. Durch Anna Sergejewna wird Basarows ganz auf das Praktische gerichteter Sinn auf die entscheidende Probe gestellt, auf die Liebesprobe gewissermaßen, und er selbst erkennt am besten, dass er sie nicht bestanden hat und seinen Prinzipien untreu geworden ist. So trägt er den Virus der Liebe in seinem Herzen, und ein solcher Virus kann tödlich sein. Turgenjew benötigt dazu nicht mehr die Werther-Pistole, Basarow infiziert sich an einem Typhuskranken, ausgerechnet beim Sezieren, wie ironisch vermerkt wird.

Ergreifendes Finale

Die große Szene, fast Schlussszene, zwischen Basarow und Anna Sergejewna, die an sein Krankenlager geeilt ist, ist ein aufwühlendes und ergreifendes Finale. Auch ein dissonantes und unheimliches. Wollte Turgenjew, indem er Basarow sterben lässt, die Söhne erschlagen, bevor diese die Väter erschlagen können? Andererseits ist Basarow, er allein, das Zentrum des Buches, sein glühender Kern, die stärkste Figur, wenn auch am Ende ein gefällter Riese. Noch als solcher bricht er mit dem Typus des »überflüssigen Menschen«, der in der russischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts eine so große Rolle gespielt hat. Turgenjew hat Basarow einen »Helden unserer Zeit« genannt, aber vielleicht wollte er diesem Helden, indem er ihm eine schwer heilbare Wunde schlug, die Lehre erteilen, dass auch der stärkste Held nie vollständig Herr seines Lebens ist.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur Wissen | 30.08.2016 | 09:20 Uhr

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Romane

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