Herta Müller: "Mit der Ukraine hört Putin nicht mehr auf"
In ihrer Heimat Rumänien erlebte die Dichterin die Unfreiheiten einer Diktatur. Umso vehementer tritt sie für die Demokratie ein. Im Hamburger Schauspielhaus überzeugte sie am Mittwoch mit ihren sonst so scharfsinnigen Analysen aber eher nicht.
Man hatte sich viel vorgenommen. Herta Müller sollte bezeugen, was wir verlieren, wenn wir vergessen, was Demokratie und Freiheit bedeuten. Wenn an die Stelle gewählter Regierungen Diktatoren treten. Die Dichterin hatte über zwanzig Jahre Unfreiheit erfahren, hatte im Rumänien der 60er- und 70er-Jahre unter Ceaușescu Willkür, Zensur und Unterdrückung jeder Form freier Meinungsäußerung erlebt.
"Ich hab natürlich ständig gelogen bei den Verhören, weil ich werde denen ja nicht sagen dass ich mir jeden Tag wünsche dass Ceaușescu stirbt", erinnerte sich sie auf der Bühne des Schauspielhauses in Hamburg.
Herta Müller erzählt mit leiser Stimme und sprunghaft
So knapp und klar dieser Satz klingt - er steht erst am Ende eines sehr lang geratenen Erinnerungsbogens, in dem Herta Müller über den Dialekt ihrer Heimat sprach, über ihre Familie und die wenigen Bücher, die es gab. Müller, die zerbrechlich wirkt und zart und mit leiser Stimme eher sprunghaft erzählt, wird auch von Lukas Bärfuss lange nicht zum Thema geführt, das doch eigentlich mit "Zukunft der Demokratie" überschrieben war.
Visionäre Klarheit über Putins Methoden
Es dauerte dann weit mehr als eine Stunde, bis Moderator Lukas Bärfuss zu dem Artikel kommt, in dem Herta Müller sich mit visionärer Klarheit über Putins Methode äußert, unmittelbar nach dem Überfall auf die ukrainische Halbinsel Krim.
"Mit der Ukraine hört Putin nicht mehr auf. Die langsame fortwährende Zerrüttung ist eine beschlossene Sache, ein fertiger Plan in seiner Schublade. Daran wird kein Friedensabkommen und kein diplomatischer Dialog etwas ändern. Putin hört nicht auf." Herta Müller in einem Artikel über Putins Methoden
Nach eher langen, etwas umständlichen Berichten aus ihrem Leben unter der kommunistischen Diktatur bleibt Herta Müller klar in ihrer Meinung zum männlichen Machtstreben moderner Diktatoren in Russland, China und Nordkorea. "Ich meine, ich habe keine besseren Antennen, als andere Menschen. Aber ich habe halt Erfahrungen mit solchen Typen wie Putin gemacht."
Kritik an Russlandpolitik von Angela Merkel:
Auch an der, wie sie es nennt, anhaltenden Vorliebe der DDR-Bürger für Russland, lässt Herta Müller kein gutes Haar. Auch nicht an westlicher Politik und Diplomatie. "Frau Merkel sagte, sie hätte ihn durchschaut. Ich glaube das nicht", sagt sie. Wenn es so gewesen sei, mache es das nicht besser. Putin habe mit seiner KGB-Erfahrung viele kriminelle Eigenschaften mitgebracht. "Ich habe ihn für einen Kriminellen gehalten. Mir war das alles nicht geheuer. Mir war die Erscheinung unheimlich."
So persönlich berührend die Nobelpreisträgerin an diesem Abend auch klingt: von einer überzeugenden Analyse der aktuellen Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft war das Gespräch der beiden Autoren Lukas Bärfuss und Herta Müller zu weit entfernt.
"Ich fand das langatmig", sagt dann auch eine Besucherin. Herta Müller habe nicht gezielt auf die Fragen geantwortet. Und Bärfuss sei schwer mit ihr ins Gespräch gekommen. "Das war schade, weil ich glaube, sie hat unheimlich viel zu sagen."
Hervorragende Analytikerin - aber nicht auf der Bühne
Und noch mehr zu schreiben. Denn in Essays und Zeitungsartikeln hat Herta Müller sehr scharfsinnig die deutsche Russlandpolitik analysiert und explizit das Grauen in Israel und Palästina beschrieben.
Das grelle Scheinwerferlicht der großen Theaterbühne aber war für ihre Gedanken zur Demokratie eher nicht von Vorteil.