"Waldpilze mit Geschmack der Armut": Lukas Bärfuss im Gespräch
Lukas Bärfuss hat kürzlich drei neue Arbeiten veröffentlicht, einen Essay über das Erben, ein Theaterstück und einen sehr persönlichen Roman. Mehr dazu verrät der Schweizer Schriftsteller in NDR Kultur à la carte.
Er ist bescheiden, keiner der den großen Auftritt sucht, dabei um deutliche Worte aber nie verlegen. Als sein Stück "Verführung" bei den Autor*innentheatertagen im Frühjahr in Berlin uraufgeführt wird, kommt Bärfuss allein, zu Fuß, raucht davor nervös schnell noch eine Zigarette. Das Theater, sagt er, bedeute ihm viel. "Ich habe gelernt, dass man als Mensch ohne Geld, der aus der Armut kommt, nicht in einen Konkurrenzkampf eintreten kann. Man braucht Kooperation mit anderen Menschen und Theater ist etwas sehr Kooperatives, da schafft man überhaupt gar nichts alleine."
Persönliche Erfahrungen in "Die Krume Brot"
Mit 15 stand er auf der Straße, mittellos. Die Mutter war fort, mit dem Geld, das eigentlich für seine Ausbildung gedacht war. Zum Vater gab es kaum Kontakt, er saß lange im Gefängnis. Viele von diesen persönlichen Erfahrungen sind eingeflossen in den im Frühjahr erschienen Roman "Die Krume Brot". "Das ist natürlich ein Stoff, der mit sehr vielen schwierigen Gefühlen und auch mit schwierigen Erinnerungen zu tun hat. Dem muss man sich schon ein bisschen annähern." Er habe den Stoff "nicht einfach so umarmen" können. Es sei eine "Mutübung" oder sogar "Mutprüfung" gewesen.
Ambivalentes Verhältnis zu Pilzen
Entsprechend lange hat Bärfuss ihn in sich getragen. In dem Roman erzählt er aus weiblicher Perspektive davon, was es bedeutet, kein Geld zu haben, nicht zu wissen, woher das Essen für den nächsten Tag kommen soll. Zu Pilzen hat er bis heute ein ambivalentes Verhältnis. "Das Pilzesammeln im Wald, das war wirklich eine Möglichkeit, den Speisezettel aufzubessern. Und der Geschmack dieser Pilze und der Geschmack dieser Armut, daran erinnere ich mich sehr gut." Doch er hat es geschafft, sich aus dieser Misere zu befreien. Für einen Mann sei das damals sicher leichter gewesen. Außerdem habe er schnell gelernt, was er NICHT tun sollte. "Ich habe mich von den Drogen fern gehalten im Gegensatz zu fast allen Menschen in meinem Umfeld, dieser 15, 16, 17, 18, 19, 20-jährige junge Mann, der ich damals war, scheint irgendeinen Schutzengel gehabt zu haben."
Mit literarischen Texten eröffnet sich Universum
Noch vor dem Theater kam die Literatur in sein Leben. Ein freundlicher Mensch ermöglichte dem jungen Mann, als Buchhändler zu arbeiten. Über Jahre stotterte Bärfuss dann seine Schulden ab, fand zum Schreiben und entdeckte mit den literarischen Texten ein Universum. Hier war er, der nie eine Ausbildung machen konnte, plötzlich kein Ausgeschlossener mehr. "Ich konnte immer in die Bibliothek. Ich fand immer ein Buch und ein Buch hat mich noch nie abgewiesen, zurückgewiesen. Das war für mich wirklich der Weg da raus, aber das ist natürlich kein Modell, und ich kann aus meiner Geschichte jetzt kein Beispiel ableiten, überhaupt nicht."
Ehrendoktor löst Befremdung aus
Bekannt geworden ist Lukas Bärfuss zunächst als Dramatiker. Es folgten Romane, Essays und immer wieder kritische Kommentare zur Zeitgeschichte. 2019 erhielt der Schweizer den Georg-Büchner-Preis, den wichtigsten Literaturpreis im deutschsprachigen Raum. Das mag er immer noch kaum fassen. Es sei eine "tägliche Freude". Auch Ehrendoktor darf Bärfuss sich inzwischen nennen. Bei seiner Schulbildung sei das "wirklich eine große Befremdung", erzählt er. "Wie viele Menschen, die aus ähnlichen Verhältnissen stammen, werde ich Eines wahrscheinlich nie los: dieses ständige Gefühl, dass man das nicht wirklich verdient hat."