Cover: Lukas Bärfuss - Die Krume Brot © Rowohlt Verlag

"Die Krume Brot": Neuer Roman von Lukas Bärfuss macht wütend

Stand: 03.05.2023 06:00 Uhr

Lukas Bärfuss beschreibt in "Die Krume Brot", was es bedeutet, wenn nichts zu vererben ist - außer Schulden. Der Büchnerpreisträger legt den Finger in die Wunde und verbindet sie nicht.

von Katja Weise

Niemand weiß, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt, fünfundvierzig Jahre vorher, um genau zu sein. Leseprobe

Schon der erste Satz setzt den Ton. Es gibt kein Entrinnen, das ahnt man und hofft trotzdem bis zuletzt. "Ich hätte sie beim Schreiben sehr gerne oft geschützt, aber das war nicht möglich", sagt Lukas Bärfuss. "Deshalb war dieses Buch eine prägende und tiefe Erfahrung, von allen meinen Büchern wahrscheinlich das, was ich mit dem meisten Schweiß und Blut geschrieben habe."

Eine Frau kämpft gegen die Umstände

Adelina wird Anfang der 1970er-Jahre in Zürich als Tochter italienischer Einwanderer geboren. Verantwortlich für ihr Unglück sind vor allem ihr Vater und ihr Großvater, zwei Männer, die ihren Weg nicht finden und als Väter versagen. Adelina erbt einen Berg Schulden: Zunächst weigert sie sich, das Erbe anzunehmen, doch die Mutter zwingt sie und macht sich anschließend aus dem Staub. Das Mädchen ist noch nicht volljährig und muss seine Lehre abbrechen.

Und so nahm sie eine Arbeit in der Suppenfabrik an, draußen im Tal der Glatt. Man setzte sie in die Qualitätskontrolle, an ein Fließband, auf dem getrocknete Pilze an ihr vorbeizogen, am Montag Morcheln, am Dienstag Steinpilze und den restlichen drei Tagen der Woche gewöhnliche Champignons. Leseprobe

Lukas Bärfuss weiß, wovon er schreibt: "Die 70er-Jahre waren das Jahrzehnt meiner Kindheit, und ich habe sehr vieles, was in dem Buch beschrieben ist, selbst erlebt. Das Pilzesammeln im Wald war eine Möglichkeit, den Speisezettel aufzubessern. An den Geschmack dieser Pilze und den Geschmack der Armut, daran erinnere ich mich sehr gut."

Dass er die Geschichte aus der Perspektive einer Frau erzählt, habe auch damit zu tun, dass er als Kind vor allem Frauen in dieser prekären Situation erlebt habe. Ein Vorbild war die eigene Mutter, die als Alleinerziehende in der Schweiz einen besonders schweren Stand hatte. Auch Adelina wird schwanger, muss sich neben der Arbeit um die Tochter kümmern. Das ist nahezu unmöglich, zumal, wenn das Geld für die Betreuung fehlt. Der Vater, ein Italiener, erhält immer nur eine begrenzte Arbeitserlaubnis für die Schweiz und kommt irgendwann gar nicht mehr zu ihr. Adelina gibt trotzdem nicht auf. Tapfer stemmt sie sich gegen die Umstände. Sie trifft auf Emil, einen Mann, der Geld hat, der schließlich sogar ihre Schulden zahlt. Allein, er macht sie nicht glücklich.

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"Die Krume Brot": Aufrüttelnde Lektüre

Natürlich hat Lukas Bärfuss ein Anliegen. Adelina macht Fehler, wie jeder Mensch, aber letztlich - und darum geht es ihm - hat sie keine Chance.

Eng begleitet Bärfuss seine Figur, ist dabei auf empathische Weise unerbittlich, und obwohl schon der erste Satz des Romans klar die Richtung gewiesen hat, wartet die Leserin, der Leser wider besseren Wissens lange, dass sich ein Ausweg zeigt. Parallelen zu heute sind unverkennbar, wenn auch nicht bemüht. Schließlich geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, sind Vorurteile gegenüber Immigranten und deren Nachfahren gang und gäbe.

"Wir sehen eine fast ständische Gesellschaft, fast aristokratische Verhältnisse, wir leben nicht mehr in einer Leistungsgesellschaft", findet Bärfuss. "Man kann durch Leistung, durch eine Anstrengung nicht mehr reich werden heutzutage - nur in Ausnahmefällen. Man kann sich sein Vermögen kaum mehr erarbeiten und der entscheidende Faktor ist, was man erbt."

"Die Krume Brot" ist eine intensive Lektüre, die aufrüttelt, ja regelrecht wütend macht. Bärfuss legt den Finger in die Wunde und verbindet sie nicht. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht, denn dieses Buch ist nur der Anfang - geplant hat er eine Trilogie.

Die Krume Brot

von Lukas Bärfuss
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Rowohlt
Bestellnummer:
978-3-498-00320-3
Preis:
22 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 03.05.2023 | 12:40 Uhr

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