Guy de Maupassant: "Bel-Ami"
In 25 Folgen der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Guy de Maupassants "Bel-Ami".
Von Hanjo Kesting
Bel-Ami, der Held des nach ihm benannten Romans, ist sprichwörtlich geworden für einen bestimmten Typ von Mann: den Frauenliebling und unwiderstehlichen Herzensbrecher, der aber in Wirklichkeit ein Emporkömmling und, bei allem Charme, ein rücksichtsloser Menschenverächter ist. Guy de Maupassant, der Autor des Buches, hat seinen Helden Georges Duroy als "männliche Hure" bezeichnet: "... von Natur treulos, gewalttätig und schwächlich."
Jeder Held braucht seine Zeit, so wie die Zeit die Helden hervorbringt, die sie verdient. Es ist das Frankreich der späten 1870er Jahre, die Frühzeit der sogenannten Belle Époque. Der verklärende Name verrät kaum, dass es auch die Zeit eines wildwuchernden Kapitalismus, gewaltiger Finanzspekulationen und einer ungehemmten Vergnügungsindustrie war, nirgends mehr als in Paris, der Stadt der großen Weltausstellungen. Dieses Paris ist nirgends so genau und atmosphärisch stimmig beschrieben worden wie in Maupassants "Bel-Ami".
Ein Emporkömmling der Belle Epoque
Der Roman beginnt am 28. Juni des Jahres 1877, in der drückenden Hitze eines Pariser Sommernachmittags. Georges Duroy hat zwei Jahre als Unteroffizier in Algerien zugebracht und dort die räuberische Freiheit des Kolonialsoldaten genossen. Jetzt ist er nach Paris zurückgekehrt, mittellos, vernachlässigt in seiner äußeren Erscheinung, aber ein hübscher Bursche mit dem Blick eines Raubvogels. Ein Jugendfreund, der als leitender Redakteur bei der Zeitung "La Vie française" arbeitet, nimmt sich seiner an und lädt ihn zu einem Diner in sein Haus, wo der junge Mann mit dem unwiderstehlichen Schnurrbart seinen ersten gesellschaftlichen Erfolg verbucht. Er erhält erste Aufträge als Journalist und steigt, dank seiner Anpassungsfähigkeit, in kurzer Zeit zu einem gewandten Reporter auf, mit guten Beziehungen zur großen Welt der Minister, Fürsten und Polizeichefs wie zu der niederen Welt der Kutscher, Kellner, Zuhälter und Kurtisanen. Duroy, der rasch erkennt, dass es in allen Bereichen des Lebens um Geld, Einfluss und Macht geht, setzt bedenkenlos seinen Charme und seine wachen Instinkte ein, um den eigenen Aufstieg an die Schalthebel der Pressemacht voranzutreiben. Vor allem gewinnt er das Vertrauen des jüdischen Verlegers Walter, der die Zeitung in den Dienst seiner persönlichen Geschäftsinteressen und Börsenspekulationen gestellt hat und der, wie viele Figuren des Buches, ein reales Vorbild im Paris seiner Zeit hat.
Duroy steigt auf zum Lokalchef des Blattes und später zum politischen Leitartikler, nicht zuletzt indem er einflussreiche Frauen für seine Zwecke einspannt. Jedes seiner Liebesabenteuer ist eine Stufe auf der Leiter des Erfolgs. Es ist dieses Geflecht erotischer Beziehungen, das die vielfältige, eher episodenhaft als streng komponierte Handlung des Romans zusammenhält. Zugleich enthüllt sich in der allgemeinen Promiskuität die moralische Zerrüttung des gesellschaftlichen Systems. Zuletzt entführt Duroy mit kühlem Kalkül die Tochter seines Verlegers, die er samt ihrem unschätzbaren Erbe nur gewinnen kann, indem er die Eltern vor vollendete Tatsachen stellt. Dem schwerreichen Schwiegervater imponiert die handstreichartige Aktion: "Der Mann hat Zukunft. Er wird Abgeordneter und Minister werden."
Eine Wirklichkeit ohne Ideale und Illusionen
Man könnte "Bel-Ami" einen politischen Roman nennen, hätte dem Autor das Politische nicht denkbar fern gelegen. An eine auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit begründete Gesellschaft vermochte Maupassant nicht zu glauben. Fast absichtslos zeigt er die Mechanismen der Politik als Ausdruck des Willens zur Macht. Überzeugt von der menschlichen Dummheit und Triebhaftigkeit enthüllt er die Wirklichkeit in ihrer grausamen Härte, ohne Ideale und Illusionen.
Als "Bel-Ami" erschien, stand Maupassant auf der Höhe seines zeitgenössischen Ruhms und seine Bücher wurden überall in Europa gelesen. Doch stellte er sich im Zenit seiner Laufbahn ein düsteres Orakel: "Ich bin in das literarische Leben eingetreten wie ein Meteor, und mein Ausgang wird sein wie ein Donnerschlag." Die Voraussage ging in Erfüllung. Nur fünf Jahre nach Erscheinen seines Romans stürzte Maupassant in geistige Umnachtung.