Großes Lob der Jury für Hannoveraner Henrik Szántó in Klagenfurt
In Klagenfurt sind die 48. Tage der deutschsprachigen Literatur zu Ende gegangen. Der Hannoveraner Henrik Szántó hat beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis einen Text über die deutsche Erinnerungskultur vorgetragen. Einen Preis gab es nicht.
Es war ein "Super-Text" und ein "Super-Vortrag", sagt NDR Literaturredakteur Jürgen Deppe. Er war sich sicher, dass Szántó dafür einen der fünf Preise bekommen würde - dem war allerdings nicht so. Die Entscheidung der Jury für den Hauptpreis fiel auf Tijan Sila.
Henrik Szántó ist Autor, Moderator und Poetry-Slammer. Geboren wurde er 1988 in Frankfurt am Main, als Kind eines Ungarn und einer Finnin. Aufgewachsen ist er in Unterfranken. "Das ist eine Gegend, die für Leute, die da nicht seit 200 Jahren herkommen, schon ein bisschen rough ist", erzählt Szántó. Vor allem auf dem Land, in teils verkrusteten Dorfstrukturen, wo viel geredet wird: Ein Finne? Ein Ungar? Sieht man ihm gar nicht an… und Deutsch spricht er ja auch! "Ja, ich kann unter dem Radar fliegen, wenn ich möchte", sagt der Autor dazu. "Das ist auf jeden Fall ein großes Privileg."
"Da stoßen die Vorurteile an ihre Grenzen"
Katholisch ist er auf jeden Fall nicht. Und die Kohle für teure Klamotten fehlt ihm auch. "Da ist eine jüdische Familiengeschichte, aber die haben kein Geld - wie passt das zusammen, haben sich die Leute gefragt", so Szántó. "Da stoßen die Vorurteile an ihre Grenzen. Das ist im ersten Moment amüsant und im zweiten leider auch sehr tragisch."
Kultivieren von Neugier gegen Hass und Vorurteile
Herkunft, Mehrsprachigkeit, kulturelle Vielfalt: Die Themen, die Szántó schreibend verarbeitet, sind politisch, ganz bewusst. "Der Wunsch ist, eine Neugier zu entfachen auf etwas, das man noch nicht kennt", erklärt Szántó. "Ich bin der Ansicht, dass das Verbreiten und das Hegen und Pflegen und das Kultivieren von Neugier etwas ist, das Hass und Vorurteilen entgegengestellt werden kann. Es ist wirklich sehr schwierig, etwas zu hassen, worauf man neugierig ist."
Mit Schalk und Selbstironie
Dabei schreibt der Autor nicht mit erhobenem Zeigefinger. Ernsthaft zwar, aber oft auch mit Schalk, Selbstironie. Seine Neugier versucht er nicht nur auf der Poetry-Slam-Bühne weiterzugeben, sondern auch in Workshops und Seminaren sowie in Schreibwerkstätten mit Jugendlichen. "Ich komme vom literarischen Schreiben und habe die Bühne zusätzlich für mich entdeckt", so der Poetry-Slammer. "Aber mein Fokus ist eigentlich das Erzählen, das Verdichten, das literarisch tiefe Hineingehen in Themen und Handlungen - insofern fühle ich mich da sehr wohl."
Text fürs Wettlesen ist über deutsche Erinnerungskultur
So wohl, dass er sich beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt beworben hatte. Mit Wettbewerben kennt sich Szántó aus, denn als Poetry-Slammer ist er sehr erfolgreich. Aber: "Klagenfurt ist da nicht zu vergleichen - das ist eine komplett andere Situation." Entsprechend sorgfältig hatte er seinen Text ausgewählt. "Es ist ein Text, der sich mit Erinnerungskultur in Deutschland auseinandersetzt und der gerade jetzt eine zusätzliche Dimension hat", erklärt der 35-Jährige. "Aber mir ist auch ganz wichtig, dass die Haltung oder die Message, die in einem Text rüberkommt, nicht überbewertet wird im Vergleich zur literarischen Qualität und dem schreiberischen Handwerk."
Seit zehn Jahren verfolgt Henrik Szántó den Wettbewerb in Klagenfurt. Sich selbst dieser Jury zu stellen, erfüllte ihn mit Vorfreude - aber auch das Zusammensein mit den anderen Teilnehmenden: "Ich glaube, das wird eine vielseitige und solidarische Form des Austausches."