Eine Frau mit einer dunklen Bluse und langen dunkelblonden Haaren steht vor einer schwarz weißen Wand und schaut freundlich nach vorne. © Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag
Eine Frau mit einer dunklen Bluse und langen dunkelblonden Haaren steht vor einer schwarz weißen Wand und schaut freundlich nach vorne. © Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag
Eine Frau mit einer dunklen Bluse und langen dunkelblonden Haaren steht vor einer schwarz weißen Wand und schaut freundlich nach vorne. © Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag
AUDIO: "Die Winterschwimmerin" von Marion Poschmann (54 Min)

Lyrikerin Marion Poschmann über die Faszination am Eisbaden

Stand: 03.03.2025 12:55 Uhr

Marion Poschmann stürzt ihre Leserinnen und Leser gleich mit den ersten Zeilen ins kalte Wasser. Im Sommer baden kann jeder. Aber im Winter? Im Gedichtband "Die Winterschwimmerin" hat sie ihre Faszination zur Natur und am Eisbaden verarbeitet.

von Martina Kothe

In offenen Gewässern zu schwimmen, erst recht bei eisigen Temperaturen, dazu gehört Überwindung, Courage und ein entschlossener Wille. Thekla macht das. Für sie ist damit ein ganzkörperlicher Erkenntnisprozess verbunden. Wie weit kann sie an ihre Grenzen gehen? Wie wirkt die Natur auf den Körper und auf ihr Innenleben? Wieviel Kummer kann sie mit dem Eisbaden abarbeiten?

Im klaren Wasser erfährt Thekla die ungeheure Kälte, aber auch das Gefühl von Freiheit und Autonomie. Bis ihr plötzlich, ganz überraschend, ein Tiger begegnet. Die mit vielen Preisen ausgezeichnete Marion Poschmann erzählt mit poetischem Schwung von ungeahnten Fähigkeiten und außergewöhnlichen Naturerfahrungen. Über die Lust und das Glück des Eisbadens spricht Marion Poschmann mit Martina Kothe in NDR Kultur à la carte. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite, in der ARD Audiothek und als Podcast hören.

"Die Winterschwimmerin - eine Verslegende", das ist Ihr neuer Lyrikband, der nun erschienen ist. Verslegende ist eine Form, die ziemlich alt ist. Was können Sie uns über diese Form erzählen?

Marion Poschmann: Für mich ist das eine Form, die relativ stark Lyrik und Prosa zusammengebracht hat. Es ist ein Gedicht, das Narrativ strukturiert ist. Es hat eine Handlung, einen Handlungsbogen und es hat auch eine Hauptfigur. Im Unterschied zu kürzeren Gedichten gibt es eine Figur mit Namen. Meine Heldin heißt Thekla. Ihre Erlebnisse werden in Versen geschildert, in konzentrierter und gehobener Form.

Bäume, Natur, Laubwerk, es gibt auch den Roman "Die Kieferninseln". In eigentlich fast allen Romanen und lyrischen Werken von Ihnen spielt die Natur und vor allem Bäume eine ganz zentrale Rolle. Was ist das für eine Magie, die Sie da immer wieder hinzieht?

Poschmann: "Die Winterschwimmerin" beginnt mit Bäumen und mit Blättern. Es fängt mit gelben Blättern auf dem Wasser an. Bäume sind die großen Symbole für Natur schlechthin. An Bäumen kann man sehr viel sehen und zeigen. Sie verändern sich mit den Jahreszeiten so offensichtlich, sie überdauern Jahrhunderte. Den Wandel der Natur und der Welt kann man sehr gut an Bäumen erkennen.

Weitere Informationen
Cover: Marion Poschmann, "Die Winterschwimmerin“ © Suhrkamp

Marion Poschmanns "Die Winterschwimmerin": Über das Glück des Eisbadens

Marion Poschmann erzeugt unentwegt überraschende Sprach-Bilder und -Rhythmen und bringt die Buchstaben zum Klingen. mehr

Also sind Bäume auch Zeugen eines Vergehens, eines Kreislaufs oder des Werdens?

Poschmann: Ja, die Bäume sind im Grunde eine Schnittstelle zwischen der Natur, wie wir sie als Wildwuchs verstehen und auch der Kultur, der Zivilisation. Man hat diese Obstbaumplantagen, man hat die Stadtbäume, mit denen ich mich auch länger beschäftigt habe. An diesen Stadtbäumen sieht man die ökonomischen und politischen Strukturen einer Stadt. Man sieht die historischen Schichten, wann welcher Baum, wo aus welchem Grund gepflanzt wurde. Wenn man dem nachgeht, dann erfährt man sehr viel, was über die Bäume hinausgeht.

Marion Poschmann, in Ihrem neuen Lyrikband "Die Winterschwimmerin" gibt es eine geschlossene Versform, die Verslegende. Wie sind Sie denn auf diese Form gestoßen? Was hat Sie daran gereizt?

Poschmann: Ich bin eher zufällig darauf gestoßen. Ich bin bei diesem Buch vom Winterschwimmen ausgegangen. Ich hatte den Ansatz, über das Winterschwimmen und Eisbaden zu schreiben und über diesen Sprung ins eiskalte Wasser. Für so ein ganzes Buch war das vielleicht doch ein bisschen wenig. So bin ich dann über mehrere Stufen zu der Verslegende gekommen. In diesem Buch spielt ein Tiger eine gewisse Rolle. Das innere Feuer, dass man beim Eisbaden entwickelt, das kann man vielleicht in die Verkörperung des Tigers fassen. Ich bin dann über diesen Tiger zur Verlegende gekommen. Meine Heldin heißt Thekla, und über diesen Namen kam ich auf die Geschichte der Thekla von Ikonium, eine alte Legende aus dem zweiten Jahrhundert. Thekla ist eine Gestalt, die in der Ikonografie immer mit Raubtieren, meistens mit einem Löwen dargestellt wird. Ihre Geschichte ist sehr spannend und hat mit meiner Geschichte, die ich erzähle, mehrere Berührungspunkte.

Bei der Thekla von Ikonium ist es so, sie hört zufällig durch ein offenes Fenster aus dem Nachbarhaus eine Predigt des Paulus, der missionierend unterwegs ist. Sie ist ganz fasziniert, schließt sich Paulus an, löst ihre Verlobung und möchte ein geistliches, jungfräuliches Leben führen. Das war zu ihrer Zeit ein unerhörter Skandal. Sie wurde verfolgt und mit dem Tode bedroht. Dann geschehen in der Geschichte mehrere Wunder. Zuerst wird sie auf den Scheiterhaufen gestellt, soll verbrannt werden, und dann kommt ein großes Gewitter und löscht das Feuer. Bei einem zweiten Versuch wirft man sie den wilden Tieren zum Fraß vor. Aber eine Löwin nähert sich ihr ganz behutsam und rührt sie nicht an, sondern beschützt sie sogar vor den anderen Raubtieren, die ihr nachstellen. Diese beiden Elemente habe ich dann im Grunde in meinem Buch aufgenommen. Einmal diesen Gegensatz Wasser und Feuer, Hitze und Kälte. Und dann diese Begegnung mit dem Raubtier, das plötzlich ganz zahm wird.

Haben Sie das denn selbst mal ausprobiert, im Eiswasser zu schwimmen?

Poschmann: Ja, ich habe selbst seit der Corona-Zeit angefangen, im Winter zu schwimmen. In den Lockdowns wusste man nicht wohin, außer an den See, in meinem Fall. In Berlin war es in allen Parks und Grünanlagen immer überfüllt, und im See hatte man noch ein bisschen Freifläche. Ich hatte dieses Eisbaden schon lange im Hinterkopf und fand das immer faszinierend. Man hörte immer von älteren Damen am Schlachtensee, die mit 90 Jahren noch jeden Tag ins Wasser gehen, da wollte ich das unbedingt auch selbst ausprobieren. Seitdem bin ich dabei geblieben, weil es einfach schön ist.

Das Gespräch führte Martina Kothe. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.

 

Weitere Informationen
Ein Mann mit kurzen grauen Haaren trägt ein schwarzes T-Shirt und sitzt an einem Tisch. Er schaut seitlich nach vorne. Es ist der Autor Feridun Zaimoglu. © NDR / Stefan Albrecht Foto: Stefan Albrecht

Feridun Zaimoglu: Trauer macht ihn türkisch

Der Autor fesselt in seinem Roman "Sohn ohne Vater" mit poetischen Bildern. Im Interview spricht er über Familie und Erinnerungen. mehr

Die Schauspielerin Pegah Ferydoni im Portrait © Audible/Dirk Mathesius

Pegah Ferydoni: Schauspielerei verbindet sie mit Schweiß, Tränen und Styropor

Im Interview spricht die gebürtige Iranerin über Oberflächlichkeiten und Stereotypen von Migrantinnen und Migranten in der Filmbranche. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 03.03.2025 | 13:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Romane

Rote und rosafarbene Bücher stehen vor einen rosafarbenen Hintergrund. © IMAGO / Panthermedia

Neue Bücher 2025: Die interessantesten Neuerscheinungen

Neues gibt es beispielsweise von Wolf Haas, Antje Rávik Strubel oder Kristine Bilkau und vielen weiteren. Ein Vorausblick. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Ein Mann im schwarzen Smoking überreicht einen Oscar an einen anderen, etwas kleineren Mann, der dabei lacht - Quentin Tarantino (links) überreicht Sean Baker den Oscar als bester Regisseur bei der Oscar-Gala 2025 © Chris Pizzello/Invision/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Chris Pizzello

Oscars 2025: "Anora" von Sean Baker triumphiert in Hollywood

Die Oscar-Verleihung war spannend wie lange nicht. Hamburg und Wolfsburg gingen leer aus, der große Gewinner war US-Regisseur Baker. mehr