Marion Poschmanns "Die Winterschwimmerin": Über das Glück des Eisbadens
Marion Poschmanns Romane sind sehr lyrisch. Ihr neues Buch "Die Winterschwimmerin" nennt sie im Untertitel eine "Verslegende". Kaum hat man es ausgelesen, möchte man es gleich wieder von vorn beginnen.
Marion Poschmann fackelt nicht lange. Gleich mit den ersten Zeilen stürzt sie ihre Leserschaft ins kalte Wasser. Im Sommer baden kann jeder. Aber im Winter? Vielleicht möchte die Autorin uns gleich warnen: Diese Lektüre ist nichts für Warmduscher! Poesie und Frost schließen sich nicht aus.
Kälte hat eingesetzt. Klarheit.
Das Wasser ist schwarz.
Thekla hat es von Paula, und Paula von ihrer
Großmutter Chris, der Kanalschwimmerin.
Einfache Tatsache gegen jedwede Gewohnheit:
Man kann bei beliebiger Temperatur draußen baden,
man braucht keine Hilfsmittel, braucht keine Schutzschicht,
erst recht keinen Anzug aus Neopren.
Vorausgesetzt nicht einmal kontinuierliches Training,
nur einfaches Weiterschwimmen vom Sommer zum Herbst.
Dann erlebt man im Winter das Wunder:
Der Körper passt sich an kalte Umgebungen an.
Leseprobe
Poesie als versöhnendes Element
Es geht wie oft in den Büchern von Marion Poschmann um die Rauheit der Natur und das gestörte Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. Und um den Versuch, den Zwist zwischen Geist und Natur durch Poesie zu versöhnen. Ihre Protagonistin Thekla, das verrät sie uns im Nachwort, entstammt aus einer apokryphen Schrift des Neuen Testaments mit dem Titel "Akten des Paulus und der Thekla". Der Literaturnobelpreisträger Paul Heyse hat die Geschichte einer Frau, die für ihre Überzeugungen zu sterben bereit ist und dabei auf göttliche Weise immer wieder dem Märtyrertod entkommt, schon im 19. Jahrhundert aufgegriffen. Auch Goethe spielt eine Rolle:
Goethe hat es von Hufeland, der Mediziner
empfahl ihm die Wasserkur. Goethe hackt folgsam
die Eisschicht der Ilm auf, er überwindet sich,
wie er sich stets seinen Ängsten und seiner
Abneigung stellte. Freibad der Aufklärung,
Lob der Antike: keinerlei heidnischer Sündenpfuhl,
kein Bad des Teufels in offener Landschaft,
vielmehr die Ahnung athletischer, unbekleideter
Leiber, im weißlichen Marmor verfestigt,
im eigenen Glanz.
Leseprobe
Thekla, die Winterschwimmerin, sucht ausgerechnet nach einem Tiger, also einer Wildkatze, deren Umgebung in der Regel, abgesehen vom Sibirischen Tiger, alles andere als winterlich geprägt ist. Was hat es mit diesem scheinbaren Widerspruch auf sich? Steht das Tier wie bereits in dem früheren Buch "Hundenovelle" für das Tierische auch in uns Menschen? Plötzlich verwandelt sich das Prosagedicht in jene Verslegende, auf die der Untertitel verweist. Der gute alte klassische Reim kommt zu seiner vollen Entfaltung. Oft scheint die Autorin dabei mit Ironie ans Verse-Schmieden gegangen zu sein.
Der Tiger rannte einem Algenball,
den es den Strand entlangtrieb, hinterher.
Er fasste ihn, bevor der Wellenschwall
ihn an sich riss, und ließ von ihm nicht mehr,
er wälzte sich damit im Sand,
er drehte sich schnell auf den Rücken,
er fetzte aus dem Ball ein Band
aus Flatteralgen, sich zu schmücken
oder zu fesseln, beides schien
ihn gleichermaßen zu entzücken.
Leseprobe
Marion Poschmann bringt die Buchstaben zum Klingen
"Die Winterschwimmerin" ist ein rätselhaftes Buch. Es spielt mit Verweisen auf die Literaturgeschichte, es erzeugt unentwegt überraschende Sprach-Bilder und -Rhythmen und bringt die Buchstaben zum Klingen. Sprache ist bei Poschmann niemals etwas Abstraktes, sondern immer auch Musik. In einem Kapitel sammelt sie Worte, die mit dem Wort Mut zu tun haben: Gleichmut, Edelmut, Wagemut, Wankelmut, Demut. Und all diese Mut-Varianten finden wir bei der Lektüre. Und so manchen Übermut, wenn sich still auf thrill reimt. Warum auch nicht?
Sie liegt beim Tiger, und die Welt steht still.
Die Welt steht still.
Und Thekla liegt
dicht angeschmiegt
dem Thrill.
Leseprobe
Gerade einmal 80 Seiten lang ist dieses außergewöhnliche Buch. Aber kaum hat man es ausgelesen, möchte man es gleich wieder von vorn beginnen.
Die Winterschwimmerin
- Seitenzahl:
- 80 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Veröffentlichungsdatum:
- 24. Februar 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43235-8
- Preis:
- 22 €
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Romane
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