Der Papiermülltaucher Arno Geiger
Darf man Bücher wegschmeißen? Verschenken - klar, aber einfach so in den Papiercontainer? Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger sucht im Wiener Altpapier nach Bücherschätzen - und wirft ab und zu auch selbst Bücher in den Müll.
Arno Geiger, Sie haben lange Bücher aus Müllcontainern gesammelt und in dem autobiografischen Essay "Das glückliche Geheimnis" davon erzählt. Welche Schätze aus dem Wiener Altpapier bleiben Ihnen für immer im Gedächtnis?
Arno Geiger: Manche, einige - angefangen mit der Inkunabel, also Bücher aus dem 16. Jahrhundert. Ich erinnere mich an ein Buch über die Zubereitung von Heilwein von 1517. Da denkt man sich natürlich schon: Gehört das ins Altpapier? Eher nein. Oder ein ganz alter Baedeker. Da lagen Zettel vorne drin mit mehreren Ausrufezeichen versehen: "Vorsicht, dieses Buch ist sehr wertvoll!" Da hat wohl niemand rein geschaut.
Alte Bücher verströmen oft einen ganz speziellen Geruch. Können Sie den beschreiben?
Geiger: Das ist sehr unterschiedlich. Das liegt daran, wie die gelagert waren. Oft ist der Dachboden oder Keller Durchgangsstation zum Wegwerfen und dann ist der Geruch nicht gut - also ein muffiger Kellergeruch. Oder aus einem Raucherhaushalt: Die Bücher sind wie geteert. Aber wenn das eine große Anzahl von neuen und alten Büchern ist, was auch oft vorkam, da ist Papier schon ein Geruch, den ich mag - und Druckerschwärze.
Müll, so haben Sie mal geschrieben, ist eine kulturelle Ressource - sozusagen eine Unterabteilung des kulturellen Gedächtnisses. Was erzählt uns Müll?
Geiger: Eine Geschichte von unten: Was ist erledigt? Was ist in Ungnade gefallen? Was ist aus der Mode gekommen? Beim Handschriftlichen ist es Zweitrangiges, Beiläufiges. Ohne das verallgemeinern zu wollen, glaube ich, dass der Müll tendenziell davon erzählt, wie wir sind und nicht so wie wir gerne wären.
Wie halten Sie es selbst? Tun Sie was für die anderen Bücherschatzsucher? Schmeißen Sie Bücher weg?
Geiger: Ja, ich schmeiße Bücher weg - sporadisch. Manches, wenn ich verärgert bin oder es gefällt mir nicht oder wenn ich es so eingeschmiert habe, dass es quasi nicht jugendfrei ist, dann schmeiße ich es einfach weg. Manche Bücher sind auch Wegwerfware. Andere stelle ich in einen Bücherschrank oder raus, wenn das Wetter schön ist. Ich studiere dann den Wetterbericht und dann stelle ich es raus auf die Straße.
Sie wollen bei Manchem nicht, dass das andere lesen, was Sie da reingeschrieben haben?
Geiger: Ja, da bin ich Snob. Wenn ich sage: Nein, das ist es tatsächlich nicht wert oder ich finde das so unzureichend verkürzend in irgendeiner Weise - einfach ein schlechtes Buch. Wir würden ersticken in den vielen Büchern, wenn alles über Jahrhunderte immer aufbewahrt werden würde. Das Wegwerfen ist auch eine Kulturtechnik.
Wir erwischen Sie gerade auf Hiddensee. Als meine Kollegin Sie angefragt hat, haben Sie sehr von der Pommerschen Abendstimmung und vom Frühschwimmen geschwärmt. Ist das eher ein Schwimm- oder ein Schreiburlaub?
Geiger: Es ist eher ein Schwimmurlaub. Das hat auch mit dem Wetter zu tun. Das ist immer ein bisschen unsicher im Urlaub. Das kennen die Allermeisten. Man muss auf beides eingestellt sein. Das Wasser ist warm, obwohl die Wellen gehen und die Wolken ziehen. Wir genießen es, meine Frau und ich.
Gibt es eine Temperatur, bei der Sie sich weigern, in die Ostsee zu springen oder sind Sie einer, der auch bei zwölf Grad reingeht?
Geiger: Zwölf Grad vielleicht eher nicht. Ich war 17 Jahre lang Bühnenarbeiter auf der Seebühne in Bregenz und bin ein bisschen abgehärtet, weil wir von der Arbeit oft in den See gesprungen sind. 17 Grad oder 16 Grad - mit viel Überwindung.
Können wir schon ein bisschen erfahren, was als nächstes von Ihnen kommt, an was Sie gerade arbeiten, oder wollen Sie das noch für sich behalten?
Geiger: Ich bin am Arbeiten. Es kommt ein Roman im nächsten Jahr: ein Buch, das mir sehr am Herzen liegt, über das Aufhören und das Abschließen, um wieder zum Thema Wegwerfen zurückzukehren. Was sind wir? Es gibt ein indisches Sprichwort: Das erfahren wir, wenn das Schiff mit all unseren Besitztümern untergegangen ist.
Das Gespräch führte Eva Schramm.