Autorin Sarah Levy über Israel: "Nie weiter entfernt vom Frieden als jetzt"
Die Buchautorin und Journalistin Sarah Levy ist 2019 von Hamburg nach Israel ausgewandert. Im Interview sagt sie: Seit dem Angriff der Hamas ist Israel, das am Dienstag den 76. Jahrestag seiner Staatsgründung gefeiert hat, ein anderes Land.
Es ist ein besonderer Jahrestag der Staatsgründung Israels an diesem 14. Mai. Denn der 7. Oktober 2023, der mörderische Überfall der Terror-Organisation Hamas auf das Land, hat die Gesellschaft tief getroffen. Vor 76 Jahren wurde der Staat gegründet, als sicherer Ort für Jüdinnen und Juden aus aller Welt.
Der 7. Oktober und seine Folgen
Die Journalistin und Buchautorin Sarah Levy ("Fünf Wörter für Sehnsucht: Von einer Reise nach Israel und zu mir selbst") wanderte Ende 2019 von Hamburg nach Israel aus. Das Rückkehrgesetz macht es möglich: Jeder Mensch mit jüdischer Abstammung hat das Recht, israelischer Staatsbürger zu werden. Heute lebt Levy mit ihrer Familie in Tel Aviv. Sirenenalarm, Luftschutzbunker, Sorgen um die Zukunft: Der 7. Oktober und seine Folgen beschäftigen auch sie.
Frau Levy, wie schauen Sie heute, im Jahr 2024, auf die Staatsgründung Israels?
Sarah Levy: Dieses Jahr ist es tatsächlich weniger freudig als die letzten Jahre. Ich glaube, als Deutsche ist es immer schwer, wenn man in ein anderes Land kommt, sich in so einen Nationalfeiertag komplett reinfallen zu lassen. Normalerweise ist es ein Tag mit Flugshows, die Leute sind draußen, treffen sich zum Grillen und so weiter. Und dieses Jahr ist alles sehr bedrückt. Die Flugshows fallen aus. Wir haben gesagt, wir werden nur bei der Familie sein. Wir werden miteinander essen, aber im Haus bleiben. Es ist ein sehr bedeutungsschwangerer Tag - und in diesem Jahr ein sehr trauriger. Israel ist jetzt ein anderes Land.
Im vergangenen Herbst, als der Krieg im Nahen Osten begonnen hatte, sind Sie mit der Familie nach Deutschland geflogen, um Ruhe zu finden. Aber die gab es nicht. Wie haben Sie die Situation in Deutschland erlebt?
Levy: Als wir nach Deutschland gekommen sind, hatte ich erwartet, dass es einfach ein bisschen entspannter für uns wird. Wir sind in den acht Tagen seit Beginn des Krieges mehrmals am Tag in den Schutzraum gerannt. Ich konnte kaum noch schlafen. Deswegen habe ich gedacht, ich komme nach Deutschland, dann habe ich erst mal ein bisschen Abstand. Aber auch da war der Nahost-Konflikt super präsent. Das fing mit Sachen an wie dass überall Palästina-Flaggen waren. Was ich eigentlich okay finde. Aber es kommt halt sonst nicht so oft vor in Deutschland. Dann haben wir Flugblätter ausgeteilt bekommen von irgendwelchen salafistischen Vereinigungen, die "Kindermörder Israel" geschrieben haben und "Würden Sie für Israel sterben?", also in denen die deutsche Staatsräson in Frage gestellt wurde. Das war schon extrem.
Wir waren von vielen deutschen Juden umgeben in dieser Zeit, die einfach sehr viel Angst hatten. Denn auf diesen Demonstrationen, die zu dem Zeitpunkt stattfanden, wurde zur Auslöschung Israels aufgerufen. Viele Freunde von uns und Freunde meiner Eltern hatten einfach Angst. Zum Beispiel um ihre Kinder, die sie auf die jüdische Schule schicken. Freunde von meinen Eltern haben ein Hakenkreuz auf den Mülleimer gemalt bekommen.
Ich wurde dann viel von meinen deutschen Freunden gefragt: Ist euch denn etwas passiert? Und ich habe immer gesagt: Nein. Wir sind die Generation, die nicht wartet, bis etwas passiert, sondern einfach versucht, die Zeichen vorher zu lesen und zu gucken: Wo sind wir wirklich sicher? Dazu kam noch, dass die AfD in der Zeit als zweitstärkste Kraft in den Hessischen Landtag gewählt wurde. Das war insgesamt einfach sehr beunruhigend. Wir konnten nicht abschalten und den Krieg hinter uns lassen. Es war alles sehr präsent in Deutschland.
Jetzt ist der Jahrestag der Staatsgründung Israels. Wird an dem Tag besonders intensiv darum gerungen oder gestritten, wie ein friedliches oder vielfältiges Zusammenleben überhaupt gelingen kann?
Levy: Wir sind noch nicht einmal an diesem Punkt. Ehrlich gesagt hängt Israel immer noch im 7. Oktober fest. Gerade war der Gedenktag Jom haZikaron, bei dem aller seit der Staatsgründung gefallenen und getöteten Israelis gedacht wird. Und 2023 sind so viele neue Tote dazu gekommen, dass es den ganzen Tag Geschichten im Fernsehen über Menschen gab, die überlebt haben oder über Verwandte von Menschen, die getötet wurden am 7. Oktober. Diese Geschichten verfolgen uns immer noch fast jeden Tag im Fernsehen. Wir hängen immer noch in dieser Trauer fest. Und solange die Geiseln noch nicht wieder raus sind aus Gaza, solange wird das Land nicht abschließen können mit dem 7. Oktober.
Wir sind noch nicht einmal an dem Punkt, wo wir über ein friedliches Zusammenleben sprechen können. Wir sind immer noch dabei, diesen Krieg irgendwie zu Ende zu bringen oder die Geiseln rauszubringen. Das kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. Das habe ich jetzt auch gemerkt, als wir gerade wieder in Deutschland waren: Die Leute sind schon bei den nächsten Themen. Die haben auch schon das Leid in Gaza hinter sich gelassen. Der Nahost-Konflikt ist da eine Meldung von vielen in den Nachrichten.
Vielleicht auch, weil man irgendwie einen Hauch Hoffnung haben möchte. In welcher Beziehung haben Sie Hoffnung?
Levy: Ich habe keine Hoffnung. Es tut mir leid, das zu sagen - es klingt furchtbar. Ich hatte jetzt relativ viele Lesungen in Deutschland. Jedes Mal wurde die Frage gestellt: Besteht denn Hoffnung für Frieden zwischen Palästinensern und Israelis? Ich glaube, wir waren noch nie weiter entfernt vom Frieden als jetzt. Da ist eine ganz große Verletzung. Ich kann nicht für die Palästinenser sprechen, aber ich weiß, das bestimmt nicht mehr alle sauer sind auf die Hamas, sondern dass sie natürlich auch sehen, wer die Bomben wirft. Beide Völker sind so verletzt und traumatisiert, nicht nur vom 7. Oktober, sondern auch von der Zeit davor.
Es fehlt nicht einfach nur der politische Wille - der sowieso nicht mehr besteht, ungefähr seit Rabin getötet wurde. Es ist nicht so einfach. Ich fürchte, in Deutschland macht man sich die Vorstellung davon, dass nur jemand da sein müsste, der zustimmt, dass zum Beispiel ein palästinensischer Staat entstehen könnte. Ich glaube, würde es einen palästinensischen Staat geben - und ich bin total dafür, denn das ist die einzige Lösung für diesen Konflikt in den nächsten 100 Jahren - dann würde es einen riesigen Krieg geben. Auch dann. Es ist immer so ein bisschen entrückt, wenn jemand uns hier in Israel nach Frieden fragt zwischen diesen zwei Völkern.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.