Deutschland und Israel: Solidarität mit Rechtsradikalen?
Laut Koalitionsvertrag der Ampel ist die Sicherheit Israels Staatsräson. Was bedeutet das angesichts der in Teilen rechtsradikalen und ultranationalistischen israelischen Regierung?
"Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar." Diese Worte der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 18. März 2008 vor der Knesset, dem israelischen Parlament, haben bis heute eine starke Wirkung auf die deutsche Nahostpolitik. Im Koalitionsvertrag der Ampel sind sie sogar zu einer noch prägnanteren Kurzform geronnen: "Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson."
Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel
Die Bundesregierung will so der besonderen Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel Ausdruck geben, wo viele Überlebende des deutschen Völkermordes an den Juden Zuflucht fanden. Was aber bedeutet die Beistandsgarantie der Bundesregierung angesichts der in Teilen rechtsradikalen und ultranationalistischen israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu, die seit dem 29. Dezember 2022 im Amt ist?
Dass darauf weder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) eine Antwort haben, zeigen ihre Aussagen und Auftritte mit führenden Mitgliedern der israelischen Regierung. Bei einer langen Pressekonferenz mit Netanjahu im Bundeskanzleramt am 16. März in Berlin erwähnte Scholz die rechtsradikalen Tendenzen der Regierung seines Gastes nicht einmal. Netanjahus Superminister für Finanzen und die Verwaltung des besetzten Westjordanlandes Bezalel Smotrich etwa hatte die "Ausradierung" des palästinensischen Dorfes Huwara gefordert. Der Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir, dem die Polizei untersteht, ist vorbestraft wegen Anstiftung zu rassistischer Gewalt. Er ist bekannt für seine Hetze gegen Araber, will nun die Todesstrafe einführen.
Eine solch rechtsradikale Regierung könne "kein Partner sein für eine deutsche Regierung, die darauf baut, dass sie aus der Geschichte gelernt hat," sagt der Historiker Moshe Zimmermann im Interview mit Panorama. Aber Bundeskanzler Scholz kommt über die Äußerung von "Sorgen" wegen der von der Netanjahu-Regierung geplanten Entmachtung des Obersten Gerichts und wegen des abermals entflammten Nahostkonflikts nicht hinaus. Dabei plant die israelische Regierung die Annexion des besetzten, mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Westjordanlandes.
"Zweistaatenlösung" wird Makulatur
So wird die von der Bundesregierung standhaft propagierte "Zweistaatenlösung", wonach im Westjordanland irgendwann ein unabhängiger Staat Palästina an der Seite Israels entstehen soll, endgültig Makulatur. Denn einer solchen Lösung steht die Ausweitung israelischer Siedlungen auf dem seit 1967 besetzten Territorium entgegen.
Der israelische Außenminister Eli Cohen, ein Zögling Netanjahus, kündigte bei einem Besuch im Auswärtigen Amt in Berlin am 28. Februar an, dass die Regierung den Bau von Siedlungen fortsetzen werde; neben ihm die deutsche Außenministerin. Ein solch offenes Bekenntnis auf diplomatischem Parkett zur völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik ist ein Novum. Bis dato hatten sich israelische Regierungsvertreter so nicht bei Besuchen in Europa geäußert.
"Es gibt diese traurige Realität," räumt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid ein. Es gebe in Israel "Kräfte, die auf eine Vertreibung, auf eine vollständige Annexion der besetzten Gebiete hinwirken." Von einzelnen Mitgliedern der israelischen Regierung würden "bedenkliche Töne" angeschlagen. Aber der Ansprechpartner für Bundeskanzler Scholz sei Premierminister Benjamin Netanjahu.
Schwächung der unabhängigen Justiz, Herrschaft über eine militärisch unterworfene Bevölkerung, die keine Staatsbürgerrechte hat, ein eigener Schlägertrupp für den Polizeiminister Ben Gvir unter dem Namen "Nationalgarde": Die Regierung Netanjahu hat sich auf den Weg gemacht, die israelische Demokratie abzuwickeln, so wirken diese Initiativen. Trotzdem spricht Kanzler Scholz von "unserem Wertepartner" und versicherte auf der Pressekonferenz mit Benjamin Netanjahu wie seinerzeit seine Vorgängerin: "Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson." Dass eine israelische Regierung den Bestand des eigenen demokratischen Staates gefährden könnte, haben Merkel und ihr Nachfolger wohl nicht einkalkuliert.