Historiker Tom Segev über Nahen Osten: "Konflikt zwischen Identitäten"
Tom Segev, einer der bedeutendsten israelischen Historiker, glaubt, dass die Explosionen in der iranischen Stadt Isfahan durch eine israelische Attacke hervorgerufen wurden. Es könnte die Reaktion auf die iranischen Luftangriffe auf Israel am vergangenen Wochenende sein.
In der Nacht auf Freitag hat es laut iranischen Medien eine Explosion in der Stadt Isfahan gegeben. Dort sollen Drohnen abgefangen worden sein. Mehrere US-amerikanische Medien berichten übereinstimmend, dass es sich um einen israelischen Angriff handelt. Weder aus dem Pentagon noch aus Israel gibt es bislang eine Stellungnahme. Teheran dementiert eine Attacke aus dem Ausland.
Herr Segev, wie schätzen Sie die Vorfälle ein?
Tom Segev: Im Moment scheint kein Zweifel zu sein, dass es eine solche Aktion gab. In Israel beginnt man erst langsam zuzugeben, dass es eine israelische Attacke war. Die Tatsache, dass man das bisher nicht getan hat, ist an sich interessant, weil ich glaube, dass alles gemacht wurde, um diese Aktion so begrenzt wie möglich zu halten - sogar so, dass es dem Iran möglich ist, zu behaupten, dass es die überhaupt nicht gegeben hat. Es ist wahrscheinlich doch eine sehr begrenzte israelische Aktion unternommen worden.
Haben Sie Sorge, dass eine Ausweitung des Konflikts die inhaftierten Geiseln und auch das Leid der Menschen in Gaza noch mehr in den Hintergrund rücken lässt?
Segev: Ich glaube, dass der gewaltige Austausch zwischen Israel und Iran jetzt erstmal zu Ende ist, und wir stehen wieder vor der Frage, wie die Geiseln befreit werden können. Das scheint fast unmöglich zu sein. Man scheint zu wissen, dass immer mehr von ihnen gar nicht mehr am Leben sind. Die Hauptfrage, die Israel noch immer beschäftigt, ist die Frage des Angriffs auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. Das steht noch immer offen. Das ist irgendwie verbunden. Ich denke manchmal, ein Mann wie Netanjahu muss wirklich ein Jongleur sein, um alle diese Bälle in der Luft zu halten. Ich bin kein Unterstützer von Netanjahu, aber ich denke, dass der Beschluss, nur eine sehr begrenzte Aktion im Iran zu machen, sehr vernünftig war und nicht leicht, weil es extreme Stimmen gibt, sowohl in Israel als auch im Iran, die Krieg verlangen.
Es gibt zum Beispiel viel Spott gegen Netanjahu, und er hat auch mehrere Möglichkeiten in den letzten sechs Monaten versäumt, die Geiseln zu befreien. Der Krieg, den Israel in Gaza führt, ist eigentlich nicht gelungen. Man ist in Israel daran gewöhnt, dass wir in unseren Kriegen nach einigen Tagen siegen, aber das ist nicht der Fall. Alle diese Dinge sind auch politisch sehr kompliziert für Netanjahu. Dann kommen die Amerikaner noch dazu und haben in Israel sehr viel zu sagen, sogar Deutschland hat was zu sagen. Das sind alles Dinge, die furchtbar kompliziert sind - von außen zu verstehen, aber auch zu leiten.
Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten oft gesagt, eine Katastrophe biblischen Ausmaßes sei nötig, um diesen Krieg zu beenden. Sie sei nötig, damit endlich neu gedacht wird. Sind wir auf dem Weg dahin?
Segev: Das ist so ein Gedanke, das ist nicht etwa mein Gebet. Das liegt daran, dass so vieles, was hier passiert, rational nicht zu verstehen ist. Das sind alles irrationale Beweggründe, die hier Geschichte machen. Das sind Glauben, Religion, Mythen und viele Ängste auf allen Seiten. Wenn es rational wäre, könnte man einfach sagen: Bis hier ist der Staat, und da fängt der nächste Staat an. Aber irgendwie ist das ein Konflikt zwischen Identitäten und nicht zwischen konkreten Interessen. Deshalb ist es so kompliziert.
Das Interview führte Eva Schramm.