"Asphalt, das Straßenmagazin": Chance auf würdevolle Arbeit
Die Straßenzeitung "Asphalt" gibt Obdachlosen in Hannover und Umgebung eine Perspektive - seit mittlerweile 30 Jahren. Doch wird das Straßenmagazin auch im digitalen Zeitalter bestehen können?
Mit nicht mehr als einer Schreibmaschine und ein paar Stiften ging es los. Alles gespendet natürlich. Dabei musste die erste Asphalt-Redaktion noch viele Hindernisse überwinden. Ein Straßenmagazin für Hannover - wird das gutgehen? Chefredakteur Volker Macke erinnert sich: "Direkt am ersten Verkaufstag am 28. August 1994 ging das Asphalt-Magazin auf die Straßen und war binnen weniger Tage mit der Erstauflage ausverkauft. Dann wurde nachgedruckt, und das war für die damals so ein Aha-Erlebnis. Dann war alle Skepsis weg", erinnert sich Macke.
Magazin rettet Menschenleben
Sieben Millionen Exemplare hat man auf die Straße gebracht in den vergangenen 30 Jahren, sagt Katharina Sterzer. Sie ist Geschäftsführerin beim Asphalt Magazin, hinter der eine gemeinnützige GmbH steht. Zum 30. Geburtstag ist sie ein bisschen stolz. "Seit unserer Gründung vor 30 Jahren haben wir insgesamt 3.600 Menschen direkt das Leben in unterschiedlichster Art und Weise gerettet", freut sie sich.
Auch publizistisch sind dem Asphalt-Magazin zahlreiche Scoops gelungen. 2003 wurde zum Beispiel das erste Kapitel des damals neuen Harry-Potter-Bandes "Harry Potter und der Orden des Phönix" von Starautorin J.K. Rowling darin veröffentlicht. Statt der üblichen 20.000 Exemplare verkaufte man 35.000.
Neben Hannover brachten damals auch andere Straßenmagazine im Norden, wie in Hamburg, Kiel oder Osnabrück, den Text. 2019 wurde die Straßenzeitung sogar Medienpartner der Kasseler documenta. Künstlerinnen und Künstler wie Kiri Dalena oder Safdar Ahmed gaben in Artikeln für das Asphalt-Magazin erste Einblicke in ihre künstlerischen Projekte. Das Ziel dabei: Kunst allen zugänglich machen. Brücken bauen zu den Menschen auf der Straße.
Die manchmal als elitär wahrgenommene Kunstblase sollte in alle Bevölkerungsschichten hineingetragen werden. Asphalt-Chefredakteur Volker Macke sagte damals dem NDR: "Das finden wir natürlich ganz wunderbar, weil wir dadurch auch eine Menge Käuferinnen und Käufer haben, die wir vorher noch gar nicht hatten. Also tatsächlich Menschen aus dem bildungsbürgerlichen Spektrum, aus der Kunstszene bundesweit. Insofern baut das Brücken. Es baut auch Brücken zu diesen Menschen auf der Straße, die diese Straßenzeitung verkaufen."
Chance auf würdevolle Arbeit, Finanzierung über Spenden
Das Geschäftsmodell ist bis heute einfach: Handverkäufer vertreiben ein Magazin auf den Straßen Hannovers - gemacht von professionellen Journalisten, Fotografen und Grafikern. Das Ziel: Obdachlosen eine Alternative zum menschenunwürdigen Betteln zu ermöglichen. Für viele Wohnungslose oder Langzeitarbeitslose ist das die letzte Chance, durch eigene Arbeit würdevoll Geld zu verdienen. Das Asphalt-Magazin finanziert sich maßgeblich über Spenden. Die Mehrzahl macht aber bis heute der Verkauf auf der Straße aus. 57 Prozent der Gesamteinnahmen kommen aus Anzeigen und dem Verkauf auf der Straße.
Digitaler Vertrieb problematisch
Ein Heft kostet 2,20 Euro - die Straßenverkäufer erwerben die Magazine für 1,10 Euro. Bleibt ein Gewinn in gleicher Höhe. "Straßenzeitungsverkäuferinnen und Verkäufer erwerben ihre Straßenzeitung im Vorfeld mit ihrem eigenen Geld", betont Sterzer. "Das heißt, das Geld müssen sie sozusagen sparen, um sich im nächsten Monat wieder die nächste 'Asphalt' zu kaufen." Doch die Vertriebswege geraten zunehmend ins Wanken.
Denn die digitale Transformation macht auch vor den Straßenmagazinen nicht halt. Immer mehr Menschen lesen Zeitungen nicht mehr auf Papier, sondern digital auf ihrem Smartphone. Katharina Sterzer und ihre Kollegen begegnen dem, indem sie auch eine digitale Ausgabe von Asphalt anbieten. Die kann man sich als QR-Code abrufen und auf das Handy laden. Das Bezahlen geht auch digital.
Doch für die Verkäufer, meist obdachlos, die ihre Zeitungen bei Asphalt erwerben und weitervertreiben, wird das häufig zu einem Problem. "Wenn man sich vorstellt, dass man dann eben kein 'Produkt' kauft, sondern dann faktisch ja nur eine digitale Währung oder ein digitales Objekt, was einem dann ja gar nicht gehört, sondern was in irgendeiner Cloud ist, ist das für die Menschen tatsächlich schwierig", erklärt Sterzer. "Es ist schwierig genug, überhaupt einen geregelten Tagesablauf hin zu bekommen. Wenn man dann kein Produkt in der Hand hat, wofür man Geld bezahlt hat, ist es natürlich umso komplexer."
Obdachlose oft ohne eigenes Bankkonto
Viele der Verkäufer besitzen gar kein Konto, gibt Sterzer zu bedenken. Die soziale Arbeit werde dadurch schwieriger. "Für ein Konto benötigen sie eine Wohnadresse. Damit haben wir so ein bisschen dieses Hamsterrad: Wo fängt man an, wo kann man einsetzen? Menschen, die gerade akut vor einer Straße kommen, haben all das nicht. Deswegen gibt es für sie auch keine Möglichkeit, bargeldlos ihr Geld zu bekommen." Katharina Sterzer wünscht sich deshalb, dass auch die Ämter und Behörden die Zuverdienstgrenzen für die Obdachlosen erhöhen. Dann würde sich die Situation für viele Betroffene entspannen, sagt sie. Und das Asphalt-Magazin könnte die nächsten 30 Jahre den Bestand auch im digitalen Zeitalter sichern.