Rostock: Der "Strohhalm" erscheint zum 300. Mal
Die Rostocker Straßenzeitung "Strohhalm" ist die einzige ihrer Art in Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt erscheint ihre 300. Ausgabe. Ein Grund zum Feiern? Ganz sicher nicht, finden die Herausgeber.
"Wir haben den 'Strohhalm' gegründet, um ihn möglichst bald wieder einzustellen", sagt Babette Limp-Schelling vom Verein "Wohltat" im Rückblick. Am 1. Dezember 1995, als die erste Ausgabe des "Strohhalms" erschien, war sie eine Reaktion auf zunehmende Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit. Für Arbeitslose und Obdachlose war sie ein niedrigschwelliges Jobangebot, eine Chance, zumindest ein bisschen eigenes Geld zu verdienen und dabei auch Struktur in den Tag zu bekommen. Bis heute habe sich die gesellschaftliche Situation leider nicht so sehr verbessert, dass darauf verzichtet werden könnte, so Babette Limp-Schelling.
Heiko – Verkäufer seit der ersten Ausgabe
Beim Jubiläumsempfang des Vereins in der Vip-Lounge des Ostseestadions ist auch Heiko dabei, einer der Verkäufer der ersten Stunde. Seit es den "Strohhalm" gibt, steht er Monat für Monat mit dem Blatt in der Hand vor dem Lütten-Kleiner Warnow-Park. Am Anfang musste der Verein ihn lange dazu überreden - Babette Limp-Schelling kam dafür extra zu ihm in die Obdachlosenunterkunft Schwarzenpfost. Der Mann, dessen Mutter trank und dessen Vater Gewalt als einziges Mittel zum Lösen von Problemen kannte, hatte damals selber ein Alkoholproblem und schon mehrfach im Gefängnis gesessen. In der 300. Ausgabe der Straßenzeitung erzählt "Strohhalm"-Redakteur Frank Schlößer in einem Artikel davon, wie das Straßenzeitungsprojekt Heiko half, Stück für Stück wieder auf die Füße zu kommen.
Mit Menschen ins Gespräch kommen
Wie für Heiko ist die Zeitung für viele der Verkäufer ein gesellschaftlicher Anker, meint Babette Limp-Schelling. "Sie kommen so mit Menschen ins Gespräch, mit denen sie im Normalfall nichts zu tun hätten. Letztendlich ist das Blatt eine Form für Menschen, die sonst keine Möglichkeit mehr haben, mit irgendjemandem in der Gesellschaft ins Gespräch zu kommen." Was ihr besonders wichtig ist: Die Verkäufer sitzen nicht auf der Straße und betteln, sondern sie verkaufen ganz einfach ein Produkt. Ein Exemplar kostet derzeit 1,20 Euro.
Ein Anlass, um Danke zu sagen
Die 300. "Strohhalm-Ausgabe" - für den Verein ist sie zwar kein Grund zum Feiern, aber doch ein Anlass, um Freunden und Förderern zu danken. Beim Empfang im Ostseestadion gibt es zwar keine alkoholische Getränke, aber ein gemeinsames Essen samt Livemusik. Unter den Gästen sind Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) und Vertreter der Rostocker Bürgerschaft – immerhin ist Rostock laut Babette Limp-Schelling bundesweit die einzige Stadt, die "ihre" Straßenzeitung mit finanziert. Auch die Wohnungsgesellschaft Wiro gibt regelmäßig Geld.
Viel Unterstützung für den "Strohhalm"
Viele kleinere Unternehmen helfen ebenfalls: die Werbeagentur Werk3 genauso wie der Vermieter, der noch nie die Miete erhöht hat, und die Druckerei "Altstadtdruck", die alle 300 Ausgaben zu einem "Freundschaftspreis" gedruckt habe, wie Babette Limp-Schelling sagt. Der FC Hansa Rostock hat einmal eine ganze Spielzeit lang mit einem Banner für den "Strohhalm" geworben. Babette Limp-Schelling versichert: "Ohne diese breite Unterstützung wäre es unmöglich gewesen, das Blatt über eine so lange Zeit herauszugeben."