"Hartz und herzlich": RTL ZWEI und ein Stadtteil in Rostock
Auf den ersten Blick hat die RTL ZWEI-Sendung "Hartz und herzlich" so gar nichts gemein mit Sendungen wie "Frauentausch" oder Scripted-Reality-Formaten, in denen sich die Produzenten häufig über einkommensschwache Menschen lustig machen. Beim Quotenhit "Hartz und herzlich" gibt es so gut wie keine abwertenden Kommentare aus dem Off, stattdessen wird auf Empathie gesetzt, etwa wenn Menschen von Vorurteilen berichten, denen sie als Hartz-IV-Beziehende ausgesetzt sind.
Sozialarbeiterin findet die Sendung katastrophal
Dennoch hält Lucia Ziegler wenig von dem Format. Sie leitet seit Sommer 2018 das Börgerhus, ein Stadtteil- und Begegnungszentrum der Arbeiterwohlfahrt im Rostocker Stadtteil Groß Klein. Dort spielen zwei der elf Staffeln von "Hartz und herzlich", die bisher ausgestrahlt wurden. Ziegler findet die Sendung katastrophal, weil vor allem Erwerbslose porträtiert werden, die suchtkrank, depressiv oder mit der Bewältigung des Alltags überfordert sind. "Es ist ein ganz spezielles Licht, das da auf einzelne Schicksale geworfen wird, damit werden andere auch über einen Kamm geschoren."
Medienwissenschaftler: RTL ZWEI stellt Menschen bloß
Seit der Erstausstrahlung im Jahr 2016 steht die Sendung in der Kritik. Erst im April veröffentlichte die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung eine Streitschrift, in der der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler RTL ZWEI vorwirft, Menschen bloßzustellen. Die Sendung sei weder Dokumentation noch Reportage, da die Zuschauer nicht auf den Weg der Recherche mitgenommen werden würden. Statt Durchdringung des Themas ersticke die Sendung die gezeigten Menschen in Klischeebildern.
Tatsächlich fällt auf, dass die Protagonisten der Sendung ähnliche Lebensumstände teilen: Viele haben gesundheitliche Probleme, rauchen viel und sind seit Jahren erwerbslos. Die Kamera befindet sich zwar meist auf Augenhöhe, hält aber voll drauf: Zur Illustration greift RTL ZWEI häufig auf Bilder von vollen Aschenbechern, Müllbergen und dreckigen Ecken in der Wohnung zurück. Die Bilder werden auch gezeigt, wenn die Protagonisten gerade von schweren Schicksalsschlägen erzählen. Um den Stadtteil Groß Klein als Ghetto zu zeichnen, wird außerdem immer wieder der gleiche Sperrmüllhaufen präsentiert.
RTL ZWEI: Hinschauen, wo andere wegschauen
Konstanze Beyer kennt diese Kritik. Die RTL ZWEI-Chefredakteurin findet aber nicht, dass arme Menschen in dem Format vorgeführt werden. Sie sieht in dem Vorwurf eher Ausdruck des Unwohlseins derer, deren Lebensumstände weit weg sind von den Protagonisten. "Es ist ja gerade unsere Absicht hinzuschauen, wo die meisten wegsehen, und die Menschen frei sprechen zu lassen, die in den Medien sonst nicht zu Wort kommen oder verhöhnt werden."
Soziologin: Sendung zeichnet Zerrbild
"Hartz und herzlich" wirke zunächst durchaus zugewandter als das sogenannte Unterschichtenfernsehen der vergangenen Jahre, meint Britta Steinwachs. Die Soziologin untersucht seit Jahren, wie arme Menschen in den Medien dargestellt werden. Zuletzt veröffentlichte sie eine Studie über Scripted-Realtiy Formate. Zwar werde in Sendungen wie "Hartz und herzlich" über soziale Probleme berichtet, allerdings für Steinwachs in einer problematischen Weise: "Die politische Sprengkraft des Themas Armut verpufft häufig in den emotionalen Wirren des Einzelfalls. Die Betroffenen verzweifeln, weinen und versagen - meist jedoch nicht an dem System dahinter, sondern an sich selbst und ihrer fehlenden Willensstärke." Die politische Funktion der Sendung bestünde darin, Erwerbslosigkeit als individuelles Versagen zu moralisieren, anstatt die strukturelle Dimension von Armut zu thematisieren.
Konstanze Beyer von RTL ZWEI verweist darauf, dass die Sendung bewusst das Handeln der Menschen in den Mittelpunkt stelle. "Sonst sind sie immer nur hilflose Objekte, um die sich Experten, Politiker und Journalisten kümmern, über die sie sprechen und urteilen, und die man an die Hand nehmen muss."
Problematische Folgen für den Stadtteil
Lucia Ziegler vom Börgerhus in Groß Klein sieht in dem Format insgesamt eine Steilvorlage für diejenigen, die sich ohnehin gerne über arme Menschen lustig machen, um sich von diesen abzugrenzen. "Es hat leider großen gesellschaftlichen Anklang gefunden, sich am Leid der anderen zu erfreuen." Dabei fände sie es durchaus sinnvoll, mehr über Armut im Fernsehen zu sehen, allerdings sollte dies auch in den gesellschaftlichen Kontext eingebunden werden. Armut sei nicht Stoff für eine Soap, sondern für eine richtige Reportage, in der auch eingeordnet werde.