"Als ob man miteinander tanzt": Ironie als Weg zur Wahrheit?
Kann Ironie zu besserer Verständigung führen? Ja, behauptet Helwig Schmidt-Glintzer in der neuen Folge des Podcasts Tee mit Warum. Ironische Distanz könne einen Anstoß geben, etwas aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Durch Ironie könne man Sphären der Verständigung finden, ohne sich auf die Füße zu treten, sagt Helwig Schmidt-Glintzer im Podcast Tee mit Warum. Der Ostasienexperte ist einer der bekanntesten Sinologen Deutschlands. Er hat Sinologie, Philosophie, Ethnologie, Soziologie und Politikwissenschaft an den Universitäten Göttingen und München studiert. In seinem Buch "Ironie und Wahrheit. Theorie einer weltoffenen Verständigung" beschreibt er, wie wir Trennendes durch Ironie und Distanz überwinden können. Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.
Herr Schmidt-Glintzer, kennen Sie eine Situation, in der Sie ironische Distanz brauchten, um Sie besser durchleben zu können?
Ja, das ist mir sehr häufig begegnet. Schon als Kind musste ich mir vorstellen, wenn der Pfarrer von Gott sprach, was ich mir darunter vorstelle. Ich habe schnell gemerkt, dass das die Sonne sein kann und dass man das auch noch von einer anderen Seite sehen kann. So ist sehr früh eine Distanz zur besprochenen Welt entstanden, und das hat mich bis heute begleitet. Natürlich gibt es Situationen, wo es besonders nützlich ist, etwas auf Distanz zu gehen und nicht Unmittelbarkeit zu pflegen. Das ist eigentlich der Kern des Ironieverständnisses, Distanz zu sich selbst zu haben und damit dann auch gesprächsfähig mit der sozialen und auch der sonstigen Welt zu werden.
Wir stellen uns die Frage, ob Ironie auch eine Gefahr sein kann, weil es Missverständnisse hervorrufen kann. Wie würden Sie sich da positionieren? Bietet Ironie eher Chancen oder Risiko?
Ironie bietet Riesenchancen und ist sozusagen das Salz in der Suppe des Lebens. Aber in bestimmten Phasen der Unmittelbarkeit, also wenn Sie jemanden küssen oder umarmen, streicheln, dann haben Sie das nicht mehr. Dann ist das Unmittelbarkeit. Diese Unmittelbarkeit erleben wir, wenn wir Schönheit erleben. Das ist das, was die Philosophen immer irritiert hat. Wie kann ich die Schönheit der Welt noch erleben und gelten lassen, wenn ich doch zugleich den Anspruch habe, Wahrheit zu finden? Das ist eigentlich im Kern das Thema meiner Überlegungen.
Wahrheit ist ein gutes Stichwort. Schließt die Ironie Wahrheit aus oder schließt sie die Wahrheit doch noch ein?
Ich glaube, sie schließt sie mit ein - beziehungsweise versucht die Ironie, den Weg dahin möglich zu machen. Denn die Wahrheit hat jeder nur für sich selbst. Wenn man weiß, dass man in einer geteilten Welt lebt, dann weiß man auch, dass man gemeinsame Wahrheiten braucht. Die vermitteln sich über Sprachgemeinschaft, aber man braucht dazu oft Schritte und manchmal auch Anstöße. Ironie ist die Form, anderen oder auch sich selbst einen Anstoß zu geben, eine Sache nicht nur zu sehen, wie sie beschrieben wird, sondern dass man sie vielleicht auch von einer anderen Seite sehen kann.
Wenn man diese gemeinsame Ebene hat, dann ist das durchaus eine Möglichkeit, Gräben zuzuschütten oder auch kulturelle oder räumliche Distanzen zu überwinden. Ist das ein Grund, warum Sie als Sinologe angefangen haben, sich mit Ironie und Wahrheit auseinanderzusetzen, vor dem Hintergrund des schwierigen Verhältnisses zwischen China und Deutschland?
Mir ist aufgefallen, dass es die Vorstellung gibt, in China gäbe es keine Ironie, die Chinesen seien dazu nicht fähig. Es gibt sogar Chinesen, die das von sich behaupten. Wenn man genauer hinguckt, merkt man, dass sie genauso diese Möglichkeit haben und dass man sich auf diese Weise mit chinesischem Gegenüber, mit chinesischen Wissenschaftlern oder Politikern, verständigen kann. Dass dann sehr vieles geht und man im Grunde Sphären der Verständigung findet und aufmachen kann, die oft überhaupt nicht aufgemacht werden. Natürlich gibt es auch die Gefahr von Verhärtungen im politischen Bereich. Aber gerade deswegen muss man die Möglichkeiten dieser Distanznahme immer wieder aufrufen. Ich denke, das kann alle weiterbringen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es darum, sich zu distanzieren, um die Wirklichkeit besser erfassen zu können und um sie besser verstehen zu können.
Ja, natürlich. Wenn ich einem US-amerikanischen Präsidenten sage, dass ich es nicht gut findet, dass es in Amerika noch die Todesstrafe gibt, dann wird der relativ schnell das Gespräch mit mir nicht weiterführen. Aber ich kann mit ihm über andere Dinge reden. Irgendwann reden wir vielleicht auch über die Todesstrafe oder über militärische Dinge. Wir müssen diese Gesprächssphären finden und nicht jemandem gleich auf die Füße treten. Das ist im Grunde die Möglichkeit der Distanz, dass ich sozusagen daneben trete und der andere hat dann sofort das Gefühl, der hätte mir auch auf die Füße treten können. Aber jetzt reagieren wir spielerisch miteinander, als ob man miteinander tanzt.
Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.