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Große Romane der Weltliteratur - Kestings Kanon

Stand: 25.10.2021 15:06 Uhr

Der Publizist und Kritiker Hanjo Kesting hat 2016 fünfzig Klassiker der Literaturgeschichte für NDR Kultur zusammengestellt. Diese Bücher sind nicht nur spannend, sondern garantieren auch Leselust.

In der Weltliteratur können wir "erfahren, woher wir kommen", sagt Hanjo Kesting. In seinem Kanon streift er durch die Geschichte der abendländischen Literatur - von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dabei gibt er Einblicke in das jeweilige Werk, die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie die Bedeutung für den Entwicklungszusammenhang der Literatur.

"Große Erwartungen" - Charles Dickens

"Große Erwartungen" aus dem Jahr 1861 markiert in den Augen vieler Dickens-Kenner den Höhepunkt seines Werkes. Es verbindet die Vorzüge seiner frühen Bücher, die ursprüngliche Sicht der Dinge und den ungestümen Stil, mit der reifen Könnerschaft seiner späten Zeit. Wie so oft bei Dickens ist ein Kind die Hauptfigur. Der kleine Pip ist der Pflegesohn eines Schmieds. Als er durch mysteriöse Geldzuwendungen eines anonymen Wohltäters aus den ärmlichen Verhältnissen, in denen er aufgewachsen ist, heraustritt und seine äußeren Lebensumstände sich zum Besseren wenden, treten mit einem Mal seine weniger angenehmen Charaktereigenschaften hervor. Dickens zeigt, dass es oft nicht die großen Schurkereien sind, die uns zu Fall bringen, sondern die kleinen Fehler und Sünden des menschlichen Herzens, von denen wir alle bedroht sind. Die Geschichte wird mit einer Wärme und Dringlichkeit erzählt, die an den tiefsten Empfindungen rührt und den Leser vollkommen in seinen Bann schlägt.

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Charles Dickens: Große Erwartungen (Buchcover) © Carl Hanser Verlag

"Große Erwartungen": Charles Dickens warnt vor kleinen Sünden

Der Roman markiert in den Augen vieler Dickens-Kenner den Höhepunkt seines Schaffens. mehr

"Germinal" - Émile Zola

Germinal ist der Frühlingsmonat - wörtlich der "Keim-Monat" - des französischen Revolutionskalenders. Zola benutzte den Namen, hundert Jahre nach der Französischen Revolution, als symbolischen Hintergrund für seine Darstellung eines Bergarbeiterstreiks im französischen Kohlerevier. Der junge Mechaniker Étienne Lantier ist der uneheliche Sohn einer Alkoholikerin, der in den Kohlengruben von Montsou Arbeit findet und dort das materielle und moralische Elend seiner Klasse erlebt: die Fron unter Tage, Hunger und Hitze, Kinderarbeit, Grubenkatastrophen, Löhne unterhalb des Existenzminimums. Als eine weitere Lohnminderung angekündigt wird, organisiert Étienne einen Streik, der monatelang dauert und für die Grubengesellschaft zur Katastrophe zu werden droht. Zola kündigt in den 1880er-Jahren die bevorstehende soziale Revolution fast mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses an. "Dieses Keimen würde bald die Erde sprengen", lautet der letzte, prophetische Satz des Buches.

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Buchcover: Émile Zola - Germinal © S. Fischer Verlag

"Germinal": Émile Zolas dokumentarischer Bergarbeiter-Roman

Kaum ein Autor hat so unmittelbar Veränderung bewirkt wie Émile Zola mit seinem erschütternden Roman "Germinal". mehr

"Die Abenteuer des Huckleberry Finn" - Mark Twain

Huckleberry Finn ist der ewige Tramp: Ein 13-14 Jahre alter Junge, der feste Zeiteinteilung und ordentliche Kleidung hasst und sich in kein Schema pressen lassen will. Eine Fahrt auf dem Mississippi, die er mit dem aus der Sklaverei entflohenen Schwarzen Jim antritt, bildet die Grundbewegung des Buches. Die Konventionen der amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhundert sind auch bei Huckleberry Finn zu spüren. So hält Huck es für unrecht, einem schwarzen Sklaven bei der Flucht zu helfen. Trotzdem ist er Jim in der Not ein solidarischer Partner. Er empfindet Scham, wenn er Jim an der Nase herumgeführt hat, erkennt das Kindische und Sadistische im eigenen Verhalten und ist bereit, sich bei Jim zu entschuldigen. Die Floßfahrt von Huck und Jim führt die beiden durch den amerikanischen Mittelwesten vor dem Bürgerkrieg. Ein Land der Holzflößer und Flussschiffer, der kleinen Städte und Dörfer an den Ufern. Einer jungen Zivilisation, in der die Gewalt überall gegenwärtig ist. Mark Twain erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Jungen und drückt ihr gerade dadurch einen unverwechselbaren Stil auf. Der Junge, der gar nicht weiß was Literatur ist, prägt das Buch mit einer kräftigen, unzimperlichen und farbenreichen Sprache.

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Buchcover: Mark Twain - Die Abenteuer des Huckleberry Finn © Anaconda Verlag

"Die Abenteuer des Huckleberry Finn" von Mark Twain

Hemingway urteilte einst über "Huckleberry Finn": "Es ist das beste Buch, das wir gehabt haben. mehr

"Berlin Alexanderplatz" - Alfred Döblin

Franz Biberkopf, ein ehemaliger Zement- und Transportarbeiter, steht an der Schwelle zu einem neuen Leben. Nach verbüßter Haftstrafe wegen Totschlags verlässt er das Tegeler Gefängnis und will ein anständiges Leben führen. Aber diesem Vorsatz wird er nicht treu bleiben, vielmehr gerät er immer tiefer in kriminelle Machenschaften. Vom Leben geschlagen, gestoßen und torpediert, macht er eine wahre Gewaltkur durch. Die einzigartige Verbindung einer individuellen Geschichte mit einem Großstadtpanorama, für die Döblin Stil und Sprache fand, macht das Buch zu einem dichten Kaleidoskop der 20er-Jahre in der brodelnden Metropole Berlin.

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Buchcover: Alfred Döblin - Berlin Alexanderplatz © S. Fischer Verlag

"Berlin Alexanderplatz": Alfred Döblins Großstadtroman

Berlin Alexanderplatz war der einzige große Erfolg, der Döblin in knapp achtzig Lebensjahren vergönnt war. Ein Kaleidoskop der 20er-Jahre. mehr

"Gargantua und Pantagruel" - François Rabelais

"Gargantua und Pantagruel" ist Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden. François Rabelais führt darin den endlosen Kampf des Satirikers gegen die Allmacht der Dummheit und die Allgegenwart der Vorurteile. Die beiden Riesen Gargantua und Pantagruel sind Werkzeuge und Sprachrohre von Rabelais' satirischem Witz. Pantagruels bester Freund heißt Panurg, ein heruntergekommener Scholar, der durch die Kenntnis von sieben bekannten und einigen selbsterfundenen Sprachen verblüfft. Er ist ein Tunichtgut, Falschspieler, Zechbruder und Räuber, der anders als die beiden Riesen das Realitätsprinzip vertritt. "Gargantua und Pantagruel" umfasst einen ganzen Kosmos an Geist und Gelehrsamkeit, Erfindungskraft und Sprachlust, Gelächter und Tiefsinn.

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Buchcover: François Rabelais - Gargantua und Pantagruel © Holzinger Verlag

"Gargantua und Pantagruel": Rabelais' Spiel mit der Sprache

"Gargantua und Pantagruel" von François Rabelais ist der wohl größte humoristische Roman der europäischen Literatur. mehr

Emily Brontë - "Sturmhöhe"

Die düstere Moorlandschaft von Yorkshire bildet den Schauplatz in Emily Brontës Roman "Sturmhöhe". Erzählt wird eine komplizierte, verästelte, schicksalhaft aufgeladene Familiengeschichte voller Wirrnisse, Liebe, Hass und Triebhaftigkeit. Nachdem Catherine einen anderen Mann geheiratet hat und bei der Geburt einer Tochter gestorben ist, versucht ihr Geliebter Heathcliff, die Tote wiederzubeleben. Sie ist für ihn nicht tot, sie spukt und geht um, sucht ihn heim. Heathcliff ist eine der fesselndsten Gestalten der englischen Literatur. In manchen Zügen ist er den düsteren Helden Lord Byrons ähnlich: wenig anziehend, finster, bedrohlich, aber auf seine Weise großartig. Trotz aller romantischen Züge besitzt Emily Brontës Roman eine enorme realistische Kraft und psychologische Modernität.

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Buchcover: Emily Brontë - Sturmhöhe © dtv

"Sturmhöhe": Emily Brontë über große Leidenschaften

Emily Brontë hat einen der berühmtesten englischen Romane hinterlassen: "Wuthering Heights - Sturmhöhe". mehr

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur Wissen | 15.02.2016 | 09:20 Uhr

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