"Ich wollte die Küsse meiner Mutter in den Rucksack packen"
Voller Schmerz und Hoffnung machen sich Menschen auf den Weg nach Deutschland, um Verfolgung und Krieg zu entkommen. In einer Schreibwerkstatt in Rostock konnten Geflüchtete ihr Erlebtes niederschreiben - mit professioneller Hilfe.
Ein Teil der Lebensgeschichte von Ghazahl: Vor drei Jahren kam die heute 25-Jährige aus dem iranischen Isfahan nach Deutschland. Ihre Gefühle bei der Abreise aus ihrem Heimatland, ihren Schmerz und all die Hoffnungen, die mit der Einwanderung nach Deutschland verbunden waren, die hat Ghazal zu Papier gebracht - in ihrer Muttersprache Persisch und mit Unterstützung auch auf Deutsch:
"Das Mädchen wollte seine Sehnsüchte und alle Leere in diesem letzten Moment überwinden und hinter sich lassen. Sie wollte ihre Tasche mit den Küssen und dem Lächeln ihrer Mutter füllen, alle Umarmungen ihres Vaters einsammeln und in ihren Rucksack packen. Die Tränen der kleinen Schwester in den Falten ihres Schultertuchs verbergen und sie alle mitnehmen." Textauszug von Ghazahl
Gefühle aufzuschreiben tat gut
Das alles aufzuschreiben, war nicht einfach, erzählt Ghazahl. Aber es habe gutgetan, die eigenen Gefühle auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen. Zuerst habe sie verschiedene Anfänge verfasst, andere Situationen geschildert von ihrer ersten Zeit in Deutschland. Aber in dieser Situation am Flughafen, da habe für sie die meiste Emotion gelegen. Schreiben, das habe ihr schon immer Freude bereitet.
"Als ich von dem Projekt gehört habe, fand ich das ganz interessant. Ich hatte auch Lust immer was zu schreiben und schreibe auch manchmal zu Hause, da gab es eine gute Möglichkeit für mich, dass ich auch professionell üben kann", erzählt die 25-jährige Ghazal.
Persische Literatur und Sprache im Iran gelehrt
Omid Naghavi und seine Frau Parvaneh Azizi leiten das Projekt. Beide lehrten im Iran persische Literatur und Sprache an der Hochschule. Seit 2023 geben sie in Rostock mit dem "Verein für die persische Kultur, Kunst und Sprache" (PKKS) ihr Wissen in literarischen Kursen weiter. Im Schreibprojekt "Letters found - Gefundene Briefe" - in Zusammenarbeit mit dem Literaturrat MV - arbeitete das Ehepaar zehn Wochen lang mit acht Männern und Frauen an deren Texten.
"Die Geschichten sind meistens sehr traurig", erzählt Omid Naghavi. Beim Lesen habe er immer weinen müssen. Es sei nicht leicht, von diesen Erfahrungen zu hören und sie zu verstehen, sagt er weiter.
Geschichten erzählen vom Ankommen - und von Rassismus
Auch die 19-jährige Zhara wollte in dem Projekt ihre Geschichte aufschreiben. Vor drei Jahren, damals als Schülerin, kam sie mit ihrer Familie aus Teheran nach Deutschland. Am Anfang habe ihr die Schule große Probleme bereitet - die Deutschkenntnisse fehlten. Von vielen Lehrerinnen und Lehrern sei sie unterstützt worden, habe an der Schule in Deutschland jedoch auch Rassismus erleben müssen. Darum geht es auch in ihrem Brief, der in der Schreibwerkstatt entstanden ist: "Schau, es ist sechs Monate her. Alles andere ist vergangen. Aber es ist immer noch da. Und alles wohnt in meinem Herzen.", schreibt die 19-Jährige.
Workshopleiter Omid Naghavi wünscht sich, in Zukunft mit noch mehr Menschen daran zu arbeiten, ihre persönlichsten Geschichten erlebbar zu machen.