Haftnotizen: Schreibwerkstatt für junge Männer aus der JVA Hahnöfersand
Sie sind jung, männlich und haben eine Geschichte - die sie als Häftlinge in die Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand südlich von Hamburg gebracht hat. In der Schreibwerkstatt Haftnotizen können sie unter Anleitung einer Autorin ihre Gedanken zu Papier bringen.
Es ist laut in dem Klassenraum der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand südlich von Hamburg. Ein Dutzend junger Männer in ihren einheitlichen olivgrünen T-Shirts begrüßen sich, zücken ihre Stifte und diskutieren angeregt. Das Mikrofon der Reporterin muss während der Schreibwerkstatt ausgeschaltet bleiben. Auch ihre wahren Namen werden sie nicht nennen - die jungen Männer sollen nicht erkannt werden. Denn für alle wird es ein Leben nach der Haftstrafe geben, und das soll nicht durch Informationen über ihre Zeit im Gefängnis erschwert werden, heißt es bei der Justizbehörde Hamburg.
"Sonst hat man nur die Zelle oder die Arbeit"
Die jungen Männer hier sind zwischen 18 und 23 Jahre alt. Sie kommen alle gerne zu den Haftnotizen. "Das ist ein Highlight, da freut man sich drauf", sagt ein Mann, der sich Roadrunner nennt. "Sonst hat man im Knast nur die Zelle oder die Arbeit." Aslan findet: "Die Stimmung ist lustig und freundlich, nicht so gefängnismäßig. Die Leute, die das mit uns machen, sind keine Justizbeamten. Es ist ein bisschen wie damals in der Schule."
Für Kursleiterin Tania Kibermanis ist es ein weiter Weg, bis sie bei ihren Jungs im Schreibraum angekommen ist. Die JVA liegt abseits auf einer Halbinsel, es geht vorbei an Stacheldraht-Zäunen und einer Menge vergitterter Türen und Sicherheitsschleusen. Seit vier Jahren kommt die 51-jährige Autorin regelmäßig, um die Häftlinge beim Schreiben zu unterstützen - gemeinsam mit der Lehrerin der JVA, Claudia Christ. Hemmungen der jungen Männer beseitigt Kibermanis dabei ganz schnell: "Erst mal gibt es diese Reaktion 'Schreiben, das kann ich nicht'. Oder: 'Ich habe aber Angst, dass ich Fehler mache'. Das erste ist: Deine Fehler sind mir egal."
Autorin liefert mögliche Themen
Aus ihrem Ordner zieht die Autorin eine lange Liste, auf der mögliche Themen für einen Text stehen, etwa: Wer ist mein Vorbild? Sind Soldaten Mörder? Oder: Gibt es ewige Liebe? Kibermanis: "Es geht erst einmal um: Was will ich überhaupt sagen? Habe ich eine Meinung? Kann ich meine Meinung von Fakten unterscheiden? Wie bilde ich mir eine Meinung? Kann ich eine andere Meinung aushalten? Wie baue ich eine Geschichte?"
Die Themen führen zu regen Diskussionen mit den beiden Kursleiterinnen, aber auch untereinander. Oft schreiben die Häftlinge aber auch über sich, über ihre Erfahrungen, über ihr Leben, über ihre Tat.
Freunde sind gekommen und gegangen. Familien sind am Leiden. Die Straße steckt in Deinem Blut. All das lässt Dich nachdenken, und durch diese Gedanken weißt Du nicht mehr, was mit Dir ist. Ausschnitt aus einer Haftnotiz
"Es war gut, das Gefühl rauszulassen"
Akho ist einer der beiden Autoren dieses Textes. Er sagt, es hat ihn Überwindung gekostet, über seine Gefühle zu schreiben: "Man sagt, ein Mann soll nicht über seine Schmerzen reden, aber er zeigt auch Stärke. Es war gut, das Gefühl rauszulassen. Man verarbeitet es." Auch für Toni, 35, sind die Schreibtreffen sehr wichtig: "Weil ich es mag, mich künstlerisch auszudrücken. Ich mag es, meine Gedanken auf ein Blatt Papier zu fassen. Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben über mein Leben, über Depressionen. Wie ich sie wahrnehme, wie man damit umgehen kann. Das ist Therapie für mich. Besser, als wenn ich es in mir drin lasse."
Für ihre Texte bekommen die jungen Männer viel Lob. Für viele auch eine neue Erfahrung. Kursleiterin Kibermanis ist jedenfalls begeistert von den Arbeiten der Häftlinge: "Es gibt Jungs, die wirklich fantastisch schreiben. Weil das ganz tief aus dem Herzen kommt. Da kommt irgendwas raus, was die selbst auch nicht steuern. Ich bin richtig Fan! Es gibt arrivierte Schriftsteller, die sich davon eine Scheibe abschneiden können."
Texte werden im Internet veröffentlicht
Die Texte der Häftlinge werden auf dem Hamburger Jugendserver veröffentlicht. Über Reaktionen freuen sich die Autoren aus dem Gefängnis ganz besonders, sagt Kibermanis: "Wenn jemand einen Text liest und sagt 'das sehe ich aber ganz anders' oder 'das hat mich geärgert' - Hauptsache, es gibt einen Diskurs! Weil das ist ja die Natur des Schreibens: Dass man einen Text rausgibt in die Welt. Und es ist schön, wenn die Welt darauf reagiert."