Graphic Novels im Januar: Berührende Geschichten zum Thema Flucht
Wir stellen drei Graphic Novels vor, die sich mit dem komplexen und oft auch belastenden Thema Vertreibung beschäftigen: "Kannas", "Das Schimmern der See" und "Games".
"Kannas": Eindringliche historische Dokumentation
1944, nördlich von Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg: Nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 zwingt die Rote Armee die finnischen Bewohner der dortigen Landenge zur Flucht - mit allen Mitteln. Die Finnen nennen diesen Landstrich "Kannas". In der gleichnamigen Graphic Novel von Hanneriina Moisseinen erleben wir diese Zeit noch einmal nach. In matten und beklemmenden Bleistiftzeichnungen erzählt sie von der Hirtin Maria und dem Deserteur Auvo, der nur durch Glück einen Angriff überlebt hat und fortan traumatisch durch die Gegend kurvt.
Moisseinen braucht nicht viele Worte, um die Kälte, die Angst, die Verzweiflung, die Schmerzen zu beschreiben. Ihre Zeichnungen sind bedrückend genug. Zudem fügt sie immer wieder ganze historische Fotostrecken aus den Archiven der Vertreibung hinzu. Dadurch wird das Buch zu einer erzählerischen Dokumentation der eindringlichsten Art. Fiktive Figuren treffen auf wahre Menschen und werden so zu gelebten Schicksalen: eine Geschichte nicht zum Wohlfühlen, aber um unbekannte historische Abläufe zu verstehen.
"Das Schimmern der See": Skizzenbuch eines Aktivisten im Mittelmeer
Drei Tage ist Adrian Pourviseh mit Seenotrettern auf dem Mittelmeer unterwegs. Der Aktivist ist entsetzt, was ihm dort begegnet. Verzweifelte und hilflose Flüchtlinge treffen auf gut organisierte Helfer, Not trifft auf Empathie und im Hintergrund kocht die Politik ihr eigenes Süppchen. Er dokumentiert das Erlebte in seinem Skizzenbuch. Zeichnerisch erinnert "Das Schimmern der See", so der Titel dieser Reportage, oft an eine Leistungskursarbeit aus der Schule, doch man spürt auch den inneren Drang Pourvisehs, das Stille und nie Gehörte öffentlich zu machen. Erschreckend und informativ zugleich.
"Games": Berauschende Bilder von fünf Geflüchteten aus Afghanistan
Auch informativ und berührend, hingegen zeichnerisch stark ist die Graphic Novel von Patrick Oberholzer. Der Schweizer belegt mit "Games", so der Titel der Graphic Novel, eine eigene Kategorie in diesem Genre. Fünf Menschen aus Afghanistan erzählen ihre persönliche Geschichte. Oberholtzer spiegelt diese wider, allerdings in berauschenden Bildern voller Präzision, Farbigkeit, Aufbau und Modernität. So gerät eine Flucht über die Berge bei ihm zu einer comic-haften Marvel-Action-Szene, ohne dabei den nötigen Respekt für die Flüchtenden zu verletzen. Man hört den Schotter unter den Füßen der Flüchtlinge, die quietschenden Reifen und Schüsse der Verfolger.
Der Illustrator aus Winterthur verwebt die Geschichten der fünf Protagonisten intelligent mit Fakten rund um Afghanistan, Schleppersysteme, Fluchtrouten, inoffizielle Finanzsysteme und europäische Asylpolitik. Das wirkt durch die Infografiken niemals trocken oder störend - ganz im Gegenteil. Dadurch erkennt man oft erst die Vielschichtigkeit der Motivation der Flüchtenden oder den Aufbau des organisierten Menschenhandels. Oberholtzer bedient sich dabei aus unzähligen gesicherten Quellen wie dem UNHCR oder dem Schweizerischen Bundesamt für Migration.
Der Zeichner schafft es, mit nur wenigen Bildern Stimmungen und emotionale Situationen klar und nachvollziehbar zu vermitteln. So braucht er nur sechs Zeichnungen, um das bedrückende Leben der jungen Afsaneh mit Zwangsheirat, ehelicher Gewalt und Flucht darzustellen. "Games - Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan", so der komplette Titel, sollte zu einem Standardwerk für Schulen und Politiker werden. Eindringlicher kann man die Hintergründe, Verknüpfungen und Beweggründe nicht vermitteln und verstehen.