Comic-Tipps: Thematische Graphic Novels im November
Die Graphic Novels, die aus dem Berg der zahlreichen Buchveröffentlichungen in diesem Monat herausragen, haben etwas gemeinsam: Sie nehmen sich thematisch viel vor.
"Die unglaubliche Geschichte des Weins": Unterhaltsamer Doku-Comic
Wenn man eine Weinflasche öffnet, ahnt man oft nicht, wie viel Arbeit und Geschichte darin steckt: wie alt die Rebe war, an der die Trauben gereift sind; auf welchem Boden der Rebstock stand; was dieser Boden alles erlebt hat; welche Familiengeschichte die Winzer zu erzählen hätten. Die Graphic Novel von Benoist Simmat und Daniel Casanave gibt ein Gefühl dafür. "Die unglaubliche Geschichte des Weins" heißt sie und nimmt uns mit auf eine Reise von den Anfängen des Weinanbaus in Ostanatolien vor 7.000/8.000 Jahren bis zur Gegenwart mit seinen biodynamischen Weinen.
Reiseleiter ist kein Geringerer als Bacchus selbst - der römische Gott des Weines, der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Hier drahtig, mit rötlichem Haar, langem Vollbart und Designer-Brille, wie ein Prenzlauer-Berg-Start-Up-Hipster. Und so versucht er auch, "fresh and young" wie in einem Seminar, Geschichte locker und flockig rüberzubringen. Das wirkt manchmal etwas gewollt, ist aber immer hochinteressant, spannend und oft unterhaltsam. Die unzähligen Infos übersetzt Zeichner Daniel Casanave im besten franko-belgischen Stil mal in Infografiken, mal in kleine, szenische, mit Humor gewürzte Kurzgeschichten. "Die unglaubliche Geschichte des Weins" ist ein dichter und kompakter Doku-Comic, der aber auf alle Fälle Lust auf eine Reise in die nächstgelegenen Weinberge macht.
"November": Eine estnische Mystik-Saga
Der Wind pfeift, die Sonne verschwindet hinter dicken, grauen Wolken und Schneeregen setzt ein. So beginnt "November" - die Graphic Novel von Andrus Kivirähk und Veiko Tammjärv. Die Handlung spielt in einem estnischen Dorf, als Esten den Deutsch-Balten auf dem Land als Leibeigene dienten, also vor etwa 500 Jahren. Das alles klingt nicht nur nach einer düsteren Geschichte - sie ist es auch, aber nicht nur. Da blättert man sich durch viel Armut, Krankheit und Misstrauen - aber auch durch viel Humor, Witz und groteske Szenen. Wenn zum Beispiel die Pest in Gestalt einer Ziege oder eines Hausschweins die Bewohner dahinraffen möchte.
Das alles wird in einer dunklen, holzschnittartigen Optik erzählt, bei der auch die Schrift und die Sprache fein abgestimmt sind. Das macht das Buch zu einem kleinen grafischen Meisterwerk. So kann man sich auf Teil zwei dieser estnischen Mystik-Saga freuen.
"Karte und Gebiet": Michel Houellebecqs Roman als Graphic Novel
Michel Houellebecq ist Frankreichs bekanntester und erfolgreichster lebender Autor. Für "Karte und Gebiet" erhielt er 2010 den Prix Goncourt, den wichtigsten Buchpreis Frankreichs. Nun ist der Roman als Graphic Novel erschienen, umgesetzt von Louis Paillard, einem Architekten, der aber auch schon ein paar Illustrationen für Houellebecq angefertigt hat. In der Geschichte geht es um einen Mann, der mit Fotos von einfachen Schrauben und Landkarten reich wird. Houellebecq selbst kommt in der Geschichte vor, wird dann aber bestialisch ermordet. Es geht in dem Comic aber auch um die Entwicklung der Gesellschaft.
Die Bilder, die Paillard dafür findet, sind sehr kleinteilig. Man spürt die Freude des Architekten am Zeichnen, die Lust, die Welt Houellebecqs in Bilder umzusetzen. Leider verschluckt der Druck so manches Detail und die großen Textflächen zwängen so manche Zeichnung ein. Hervorstechend ist das Format: Quer gezeichnet ist es doch hochkant gebunden, so dass man von unten nach oben blättern und eine optimale Haltung zum Lesen finden muss. Die Comic-Adaption des Bestsellers steht dem Original in nichts nach: herausfordernd, kaum Raum lassend, mit vielen kleinen Besonderheiten - zum Schmunzeln oder darüber Nachdenken.