Regisseur Verhoeven: "Alter weißer Mann ist ein Kampfbegriff"
Simon Verhoeven hat ein aktuelles, streitbares Thema in eine Komödie gepackt: "Alter weißer Mann" handelt von Wokeness, Moral und unterschiedlichen Kulturen. Im Interview spricht er über die Botschaft seines Films.
Herr Verhoeven, "Alter weißer Mann" - das ist ja schon ein schillernder Begriff. Der kann alle möglichen Bedeutungen haben. Wie ist er Ihnen meistens untergekommen, in Ihrer Erfahrung?
Simon Verhoeven: Das ist eine individuelle Frage, wie sehr man sich mit dem Begriff auseinandersetzt. Aber eigentlich ist der Begriff zunächst mal ein Kampfbegriff, um auf gewisse Missstände hinzuweisen. Für mich hat der Begriff immer Mehrdeutigkeiten gehabt. Mein Vater war ein alter weißer Mann und hat mit all dem, was damit gemeint ist, nie was zu tun gehabt. Er war ein sehr offenes, junges Herz. Er hat sicherlich nicht richtig gegendert, aber war trotzdem sein Leben lang ein Kämpfer für soziale Gerechtigkeitsthemen. So notwendig der Begriff in einer Debatte ursprünglich mal war, um überhaupt den alten weißen Mann als Klischee vom Podest zu stoßen, so ungenau ist der Begriff jetzt und auch so ungerecht vielen Menschen gegenüber, die in diese Schublade mit reingepackt werden.
Wann ist diese Analyse in Ihnen gewachsen? Und dann auch der Plan, diesen Film zu schreiben und zu drehen?
Verhoeven: In den letzten drei Jahren. Es ist aber von Anfang an die Idee gewesen, den Titel augenzwinkernd zu benutzen, nämlich eine Figur zu erfinden, die versucht, kein alter weißer Mann zu sein. Einen Mann, der Angst hat, auf dieser rutschigen Tanzfläche auszurutschen und versucht, alles richtig zu machen. Und damit zeigt er auch viele Unsicherheiten und Absurditäten im heutigen Diskurs auf. Gleichzeitig war meine Idee, von Anfang an einen sehr diversen Film zu machen, also nicht nur einen Film über den alten weißen Mann. Das ist nur ein Begriff, der für viele Schubladen steht, die wir heutzutage haben. Andere sind "Gutmensch" oder "Klimagöre". Wir haben relativ schnell, auch durch Social Media, gewisse Schubladen parat, und der Film versucht, mit diesen Schubladen zu spielen, die Leute aus diesen Schubladen rauszuholen und vielleicht versöhnlich aufeinanderprallen zu lassen.
Der "alte weiße Mann", über den wir sprechen, heißt Heinz Hellmich, Marketingchef der Fernsehfunk AG. Das macht noch ein weiteres Fenster auf, denn die sogenannte Wokeness oder Diversitätsbmühungen können auch manchmal Marketing werden. Spielt das auch eine Rolle?
Verhoeven: Ja, der Film macht sich definitiv hier und da lustig über die Wokeness von Konzernen. Ich habe früher selber einige Werbefilme gemacht und diese Diskussion miterlebt, wie verkrampft versucht wird, Diversität herzustellen, wo dann gesagt wird: Hast du vielleicht noch ein asiatisches, lesbisches Pärchen? Mir fällt dann auf, dass das gar nicht so antirassistisch ist. Es soll vielleicht offen und progressiv rüberkommen, aber dahinter steht eigentlich eine große Unsicherheit oder die Sorge, einen Shitstorm zu bekommen. Für mich ist es nicht so glaubwürdig und nicht so überzeugend, wenn ein Konzern zum Beispiel eine Regenbogenflagge raushängt, aber gleichzeitig Geschäfte mit Katar macht.
Es gibt mittlerweile sogar Menschen, die gegen solche Stock-Fotografie vorgehen, weil sie sagen: Ich möchte nicht immer für eure Vielfalt stehen, mit einem Bild, was vor zwölf Jahren entstanden ist.
Verhoeven: Ich habe diese Anfänge in der Werbung miterlebt und habe von Anfang an ein flaues Gefühl im Magen gehabt - manchmal, nicht immer. Es geht immer um Differenzierung und um Augenmaß, und das fehlt mir oft. Dass man sagt: Schau mal, da hat jemand einen falschen Ausdruck benutzt, aber der ist von einer älteren Generation und er hat es nicht böse gemeint. Man muss den Kontext von Menschen sehen. Man muss den Menschen hinter der Meinung sehen, hinter dem Wort. Das ist immer schwieriger und das wird vor allem durch Social Media, von den Algorithmen befeuert, die eine Art von Hassliebe, eine Art von Grabenkampf immer mehr verstärken. Der Film versucht so ein bisschen auf Oldschool-Art, die Leute an einen Tisch zu setzen.
Wenn solche Stoffe auf Theaterbühnen kommen, dann wird auch bei den Proben trefflich diskutiert. Wie war das bei Ihnen am Set?
Verhoeven: Genauso. Im Film gibt es ein zentrales Dinner, wo viele Figuren an einem Tisch sitzen und streiten. Und in den Proben ging es teilweise noch haarsträubender zu. Plötzlich hat die Realität das Drehbuch übernommen und weitergeführt. Die Leute haben plötzlich gestritten und ihre Meinung geäußert. Die Schauspieler wurden zu den Figuren, aber haben noch mehr von sich preisgegeben. Das war toll. Es war auch ein bisschen furchterregend am Anfang, und ich hatte Herzklopfen während der Proben, weil ich dachte: Geht das jetzt schief? Explodiert das hier? Aber ist es dann letztlich nicht, sondern es ist immer respektvoll und auch vergnügt zu Ende gegangen.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.